In der Hoffnung, solche Schlagzeilen dadurch künftig seltener lesen zu müssen, haben die Öko-Modellregion Inn-Salzach, die Öko-Modellregion Waginger - See-Rupertiwinkel und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) am Mittwochabend zu einem Vortrag in den Gasthof „Zur Post“ in Kirchweidach eingeladen. Der Titel: „Kuhverstand ist kein Geheimnis“. Die Referentin: Dr. Ulrike Sorge. Sie ist Tierärztin und Fachabteilungsleiterin des Eutergesundheitsdienstes beim Tiergesundheitsdienst Bayern.
Das Interesse war groß. Der Saal des Gasthauses war nahezu voll besetzt. Und als Marlene Berger-Stöckl von der Öko-Modellregion Waginger See - Rupertiwinkel nachfragte, ob denn auch Feuerwehrleute da seien, gingen an vielen Tischen die Hände nach oben; die ehrenamtlichen Einsatzkräfte waren explizit eingeladen, da sie oft als erste vor Ort sind, wenn Tiere ausreißen oder Ställe brennen.
Die Tierärztin stellte das „Low Stress Stockmanship“ vor – eine Methode des Viehtreibens, die aus den USA stammt, dort vom Farmer Bud Williams entwickelt wurde. Das Ziel ist, die Tiere möglichst wenig zu stressen und somit die Verletzungsgefahr für Mensch und Tier zu reduzieren. Dr. Ulrike Sorge hat selbst als Universitäts-Dozentin in den USA mit dieser Methode geforscht. „Wir benutzen unser Wissen über Tierverhalten, um dieses zu steuern“, beschrieb die Referentin die Stockmanship-Methode. Immer wieder im Laufe des gut zweistündigen Vortrags fielen die Sätze: „Kühe sind sehr einfach gestrickt“. Und: „Kühe reagieren immer nach Schema F“. Somit sei das Verhalten der Tiere vorhersehbar und könne gelenkt werden. Wenn eine Kuh sich nicht so verhalte, wie sie sollte, liege die Ursache zu 90 Prozent beim Menschen. „Kühe reagieren auf Signale von Menschen, aber sie brauchen klare und verständliche Signale“, sagte die Referentin. Und: „Kühe brauchen Zeit, um zu reagieren.“ Mit „schnell, schnell“ erreiche man bei ihnen das Gegenteil.
Ein wichtiger Punkt sei auch, Stress bei den Rindern zu vermeiden. Es seien Beutetiere, die sich in der Herde sicher fühlten. Deswegen bedeute es für sie Stress, wenn sie von anderen Kühen getrennt würden. Außerdem seien bei ihnen die Sinne, Sehen, Hören und Riechen sehr ausgeprägt. Angeschrien zu werden sei für eine Kuh schlimmer, als einen Schlag auf den Allerwertesten zu bekommen. Und wenn ein Mensch schnell auf sie zukomme, bedeute dies großen Stress für sie.
Beim "Stockmanship" könne man unter anderem über die Richtung und den Winkel, in denen man sich der Kuh nähere, bestimmen, in welche Richtung sie gehe.Durch die bloße Anwesenheit könne der Mensch eine „Druckzone“ aufbauen, die die Kuh in die gewünschte Richtung lenken würde. Auf die Frage aus dem Publikum, wie viele Tiere ein einzelner Mensch mit dieser Methode treiben könne, antwortete die Tierärztin, 50 bis 60 seien kein Problem, da Kühe immer Kühen folgten.
Den anwesenden Feuerwehrleuten riet sie, wenn sie ausgerissene Rinder einfangen würden: „Das Wichtigste ist, dass man ruhig ist und die Kühe nicht anbrüllt“. Man müsse Druck herausnehmen. Es dauere 20 bis 40 Minuten, bis bei einer Kuh der Adrenalinspiegel nach einer Stresssituation wieder sinke. Falls möglich solle man eine ausgerissene Kuh schon mal einige Minuten ungestört etwa auf einem Marktplatz stehen lassen, damit sie sich beruhigt, und sich ihr erst dann langsam nähern.
Artikel von Michael Süß, erschienen am 10.06. 22 in der Südostbayerischen Rundschau („Kühe lenken leicht gemacht“)