Voraussetzung für die Pflege eines Obstangers in dieser Größe ist Fachwissen, wie es Annette Bobenstetter aus ihrer obstbaugeprägten schwäbischen Heimat mitgebracht hat, und die Bereitschaft, sich über Jahre hinweg um die Betreuung ihrer „Sprößlinge“ verlässlich zu kümmern – deshalb haben die Baumpaten die Sorten selbst ausgesucht oder nehmen gemeinsam an Schnittkursen teil. Während Apfelbäume, Birnen und Zwetschgen in Ebing hervorragend gedeihen, ist für Süßkirschen der Boden eher zu schwer, wie Bobenstetter anfügte. Das Ehepaar Bobenstetter hat einen Kreis von Mit-Paten organisiert, der für die regelmäßigen Pflegearbeiten bereitsteht, vom Erziehungsschnitt bis zum gemeinsamen Gießen oder dem Ausmähen mit der Sense. Zwischen den Baumreihen mäht ein Landwirt per Traktor, den die Gemeinde damit beauftragt. Weitere Baumpaten aus der Ökomodellregion haben mit privaten Grundstücksbesitzern ähnliche Absprachen getroffen und dürfen sich so über eine Obstwiese freuen, die sie fast wie ihre eigene bewirtschaften können, während der Besitzer von Arbeit entlastet wird. Interessierte Obstwiesenbesitzer oder -paten dürfen sich weiter bei der Ökomodellregion melden.
Die Doppelnutzung eines Streuobstangers sei in Oberbayern auf Obstbaumbestand mit Wiese oder Weide beschränkt, so eröffnete Landschaftsplaner Carsten Voigt seinen Vortrag über den ökologischen Wert von Streuobstwiesen, während es z.B. in Franken auch Äcker mit Obstbäumen gebe. In seinem Abriss zur Entwicklung der Kulturlandschaft zeigte er anhand zahlreicher Beispiele, wie positiv sich eine kleinbäuerliche Bewirtschaftung mit mosaikartigen abwechslungsreichen Strukturen auf die ökologische Vielfalt auswirkt.
Ein vielfältiges ökologisches Netz zu erhalten, sei nicht nur eine ethische Frage für den Menschen, sondern ermögliche ein großes Anpassungspotential z.B. bei Klimaveränderungen, sowie Ressourcen für medizinische Zwecke. Der größte Artenreichtum war im 19. Jahrhundert zu beobachten, während heute über die Hälfte aller 570 heimischen Wildbienenarten und sogar mehr als drei Viertel aller heimischen Tagfalterarten akut vom Aussterben bedroht sei. Die Züchtung früherer Kultursorten nahm einen Aufschwung, als Obst mit der Eisenbahn in die aufstrebenden Städte transportiert werden konnte, so entstand z.B. der Sonnenwirtsapfel als einer von damals über 1000 Kultursorten. Von den unzähligen früheren Lokalsorten sind z.B. die Ananasrenette oder der Waginger Kalvill (ein später Lagerapfel) übrig geblieben und werden heute wieder gepflanzt.
Alte Sorten schmecken oft eigenwilliger als heutige Sorten, man muss ihren unterschiedlichen Verwendungszweck kennen, um sie optimal nutzen zu können. Sie enthalten einen höheren Grad an Polyphenolen, das sind Bitterstoffe, die zur Abwehr der Pflanze gegen Krankheiten beitragen, aber auch der menschlichen Gesundheit nützen; manche alten Sorten werden von Apfelallergikern besser vertragen. Je größer der Obstanger, desto wertvoller wird er für
viele Tierarten, das machte Voigt am Beispiel tierischer Bewohner deutlich, die Rinde, Stamm oder Blattwerk als Unterschlupf nutzen, wie Fledermäuse, Siebenschläfer oder der Buntspecht.
Für den Wert der Honigbiene entwickeln wieder mehr Menschen ein Bewusstsein; die Bestäubungsleistung von Wildbienen und Hummeln, gerade bei Wind oder kühleren Temperaturen, werde immer noch unterschätzt. Ganz wichtig sei es, im Obstanger auch Totholz zu belassen. Im Zusammenspiel mit einer extensiv bewirtschafteten Wiese oder Weide gebe es kaum einen Lebensraum, so Voigt, der artenreicher sei als ein Streuobstanger – von bis zu 70 Tagfaltern und 200 Nachtfaltern, von Bockkäfern bis zu einer enormen Biomasse an Spinnen, die wiederum als Futter für Grünspecht oder Gartenrotschwanz dienen, von Ameise bis Wildhase. Beispielsweise sei der Ameisenbläuling, ein inzwischen sehr seltener Tagfalter, in seiner Entwicklung von einer bestimmten Ameisenart und vom großen Wiesenknopf, einer Pflanze extensiv genutzter Wiesen, gleichzeitig abhängig – ein Streuobstanger ist dafür der ideale Lebensraum. Für einen Großteil der 24 bayerischen Fledermausarten dient ein Streuobstanger nicht nur als Nahrungsrevier oder Sommerquartier, sondern auch als wichtiger Strukturpunkt zur Orientierung in der Landschaft.
Anschließend informierte Voigt noch über die Förderkriterien für Neupflanzungen. Viele der jetzigen Obstanger sind älter als 60 Jahre, d.h. wenn jetzt nicht nachgepflanzt wird und diese verjüngt werden, gehen noch mehr Streuobstanger in der Zukunft verloren. Interessenten können sich für die nächste Herbstpflanzung ab acht Stück bis Mai in der Ökomodellregion (oekomodellregion@waging.de oder 08681/ 4005-37) oder beim LPV Traunstein melden. Anhand einer Übersichtskarte stellte Voigt die ca. 60 neuen Obstanger auf der Traunsteiner Seite der Ökomodellregion vor, die seit 2015 in Zusammenarbeit mit dem Landschaftspflegeverband angelegt wurden.
Dass das Tätigkeitsfeld der Arbeitsgruppe über Streuobst hinausgeht, bewies die rege Diskussion im Anschluss. Georg Blank, Erwerbsobstbauer aus Molbaum, hat umfangreiche Erfahrungen mit heimischen Sorten und appellierte, auf die Resistenz z.B. gegen Schorf zu achten. Alle zehn Gemeinden der Ökomodellregion haben sich verpflichtet, auf den kommunalen Flächen nicht nur auf Glyphosat, sondern generell auf Pestizide zu verzichten, erinnerte Sprecherin Beate Rutkowski. Dieser Beschluss solle durch einen Eintrag in das Netzwerk pestizidfreier Gemeinden bekanntgemacht werden, schlug sie vor. Pestizidfreiheit auf kommunalen Flächen allein sei aber zu wenig, so Teilnehmer Heini Thaler aus Otting. Um auch die Gartenbesitzer über die drängende Notwendigkeit einer ökologischen Bewirtschaftung im Sinne der Artenvielfalt aufzuklären, einigten sich die Teilnehmer auf einen Vortrag vor Beginn der Gartensaison. Einige Vertreter der Bauhöfe haben sich zum Thema „Unkrautbekämpfung ohne Pestizide“ längst fortgebildet, das Thema solle in der Ökomodellregion aber intensiviert werden. Parallel dazu sollen die Bürger informiert werden, dass Gras in den Fugen nichts mit schlampiger Bewirtschaftung zu tun hat, sondern der Beitrag der Gemeinde zum Verzicht auf Spritzmittel ist, was in den Köpfen vieler Bürger noch nicht angekommen sei, so Thaler. Im Zusammenhang mit einer Veranstaltung zum Thema Grünlandbewirtschaftung sei vorgesehen, das Thema „Verzicht auf Glyphosat bei Neuansaat von Wiesen“ auch für Landwirte fachlich abzuhandeln, so Projektmanagerin Marlene Berger-Stöckl. Hartl Strasser, zweiter Sprecher der Arbeitsgruppe, wünscht sich dabei ergänzende Informationen zur Rinderfütterung, denn aus seiner Sicht sollten ergänzende Futtermittel auf die bestehende Grünlandbewirtschaftung abgestimmt werden und nicht umgekehrt.
Unverzichtbar seien die Landwirte, wenn es darum gehe, praktische Beispiele für das Projekt „Vernetzung von Lebensräumen“ zu schaffen, wie es schon von Beginn an in der Arbeitsgruppe vorgeschlagen worden sei, ergänzte Rutkowski thematisch, sei es durch eine Pflanzung von Hecken, durch extensiv bewirtschaftete Flecken oder einfach nur durch die Anlage eines Totholzhaufens – jeder habe dazu die Möglichkeit und man solle das Thema ab sofort bewerben. Es sei nach den Vorarbeiten gemeinsam mit der ILE-Initiative Zeit für eine praktische Umsetzung. Hans Glück erinnerte an die weiteren kommunalen Beschlüsse und schlug vor, in jedem Gemeinde- oder Stadtrat und in jeder Verwaltung einen Zuständigen zu ernennen, der sich aktiv um die Umsetzung dieser Beschlüsse kümmere.
Erschienen in der Südostbayerischen Rundschau vom Samstag, den 16.12.2017
Autor Hans Eder