Gentechnik ante Portas! – So wie die Römer einst entsetzt waren, als Hannibal mit seinen Kriegern vor den Toren Roms stand, sollten uns die akuten Pläne der EU für eine völlige Deregulierung und damit den schrankenlosen Einsatz von Gentechniken europaweit aufrütteln. Die bis 2010 mühsam erkämpfte Gentechnikfreiheit, ein Qualitätssiegel für bayerische landwirtschaftliche Produkte, kann in Kürze Geschichte sein – wenn Bürger und Bauern nicht gemeinsam gegen dieses Lehrstück für Industrielobbyismus aufstehen.
Während der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen auf dem Feld bisher durch strenge Kennzeichnungs- und Haftungsregeln beschränkt und damit praktisch verboten war, schlägt die EU-Kommission aktuell die Auflösung aller Gentechnik-Überwachungsregeln vor. Es soll keine Risikoabschätzung für gentechnisch veränderte Pflanzen, keine Anbaubeschränkungen und keine Regeln zur Rückverfolgbarkeit dieser Pflanzen mehr geben. Weder in der konventionellen noch in der ökologischen Landwirtschaft könnten somit noch gentechnikfreie Produkte wie bisher sichergestellt werden. Die Transparenz und Wahlfreiheit für den Landwirt ebenso wie für den Verbraucher wäre Geschichte. Auch Ökosysteme können dadurch massiv in Gefahr geraten.
Die Begründung dafür klingt so abenteuerlich wie im „Neusprech“ von George Orwell in seinem berühmten Buch „1984“: „Neue Gentechniken“ seien keine Gentechnik mehr!
Denn die eingesetzte „Genschere“ nach Crispr Cas-Methode kann zwar das Genom (Erbgut) einer Pflanze oder eines Tieres gezielter, schneller und konsequenter verändern als mit bisherigen Gentech-Methoden möglich, aber weil mit der neuen Genschere allein keine Vermischung unterschiedlicher Rassen mehr erzwungen werden kann, könne jede weitere Prüfung zu den Risiken der Erbgutveränderungen unterbleiben. Wie sich Pflanzen, deren Erbgut an mehreren Stellen verändert wird, entwickeln, welche Eigenschaften sie aufweisen, ist aber unvorhersehbar und nicht planbar – und muss auch in Zukunft im Versuch geprüft und begutachtet werden, bevor die Pflanze ins Freiland entlassen wird. Denn ab dann kann sich eine Pflanze unkontrolliert in der Natur vermehren, das ist nicht rückholbar.
Der Grund für das Kippen des bisher recht erfolgreichen Schutzes vor Gentechnik in der EU dürfte einfach sein: Der Einsatz neuer Gentechniken erzeugt eine Goldgräberstimmung bei großen Saatgutkonzernen, die die Abhängigkeit der Bauernschaft über Saatgutpatente und damit ihre Gewinnmargen steigern möchten. Die bisherigen großen Versprechen der Gentechnik sind nicht erfüllt worden, ganz im Gegenteil haben sie verheerende ökologische und soziale Folgen mit sich gebracht, u.a. einen massiv gesteigerten Pestizideinsatz in den USA, wo es kein Gentechnikverbot gab. Gentechnisch veränderte Pflanzen sind gemeinsam mit einem darauf zugeschnittenen Herbizid verantwortlich für die Entstehung neuer pestizidresistenter „Superunkräuter“ und für den Einsatz neuer „Supergifte“. Die Giftspirale hat sich, wo Gentechnik erlaubt ist, massiv nach oben gedreht, ebenso wie die Abhängigkeit der Landwirte von teuren zugekauften Betriebsmitteln. Das ist das Gegenteil der angestrebten Pestizidminderungsstrategie der EU – und es ist unsozial.
(Harald Ulmer ist Referent für den Bereich Landwirtschaft beim Bund Naturschutz und stellt uns die wissenschaftlichen Fakten leicht verständlich vor. Alle interessierten Bürger und Bauern sind herzlich eingeladen, am 14.12. zum Gasthof Riedlerwirt in Petting, um 19.30 Uhr. Der Eintritt ist frei. Veranstalter ist die Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel. )