Bio-Milch ist damit der Bereich im Bio-Sektor, der am stärksten gewachsen ist, was wiederum dazu geführt hat, dass Molkereien nicht mehr alle umstellungswilligen Landwirte aufnehmen können.
Während der Corona-Krise hat sich der Absatz von Biomilch und Biomilchprodukten jedoch weiter erhöht, weil mehr daheim gegessen wird und die Menschen beim Einkauf Bio-Produkte bevorzugen. Das hat zur Folge, dass einige Bio-Molkereien den Aufnahmestopp ausgesetzt haben und neue Lieferanten suchen, eine Chance also für so manchen Milchbauern, da die Preise für Bio-Milch um einiges höher sind als für konventionell erzeugte Milch und obendrein stabil sind. Wie die mitunter komplexe Situation für heimische Betriebe aussieht, die auf Bio-Milch umstellen wollen, soll am Beispiel der seit jeher landwirtschaftlich geprägten Gemeinde Saaldorf-Surheim gezeigt werden.
In Saaldorf-Surheim gab es im Jahr 1992 132 Milchkuhhalter, 2007 waren es laut Maria Hafners Heimatbuch der Gemeinde noch 75, inzwischen dürfte die Zahl weiter etwas zurückgegangen sein. Die Milch wird an die Milchwerke Berchtesgadener Land Chiemgau in Piding und an die Bergader Privatkäserei in Waging geliefert; erweitert man das zu betrachtende Gebiet etwas und hat die Gemeinden der Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel im Blick, liefern einige Betriebe unter anderem auch an die Andechser Bio-Molkerei Scheitz. Neben konventioneller Milch, und Bergbauern-Milch verarbeiten die Pidinger Milchwerke seit 45 Jahren auch Bio-Alpenmilch, in Waging setzt man auf Milch von Bauernhöfen aus der Alpenregion und hat keine eigene Bio-Produktlinie.
Während die Mehrheit der Saaldorf-Surheimer Milchbetriebe konventionell wirtschaftet, haben inzwischen zehn Landwirte auf biologische Wirtschaftsweise umgestellt. Der Pionier war 1998 Felix Hagenauer sen. aus Reit, der mit der Umstellung 1996 begann und damals, wie er sagt, in der Gemeinde als „Exot“ galt. Alle Bio-Betriebe gehören einem sogenannten Anbauverband an, der sie mit detaillierten Informationen unterstützt, zertifiziert und in regelmäßigen Abständen kontrolliert, ob die jeweiligen Richtlinien eingehalten werden. Die drei wichtigsten Bio-Anbauverbände in Deutschland sind Demeter, Bioland und Naturland, mit letztgenanntem arbeiten fast alle Bio-Bauern in Saaldorf-Surheim zusammen. Naturland wurde 1982 in Gräfelfing bei München gegründet und vereint inzwischen an die 4000 Betriebe; das Ziel von Naturland ist, den ökologischen Landbau weltweit zu fördern. Ein Jahr zuvor wurde Bioland gegründet, der mit inzwischen mehr als 8000 Landwirten, Gärtnern, Imkern und Winzern größte Verband. Zu Demeter, dem 1924 gegründeten und damit ältesten Verband, gehören an die 1700 Betriebe. Sie bewirtschaften ihre Felder nach den strengen Richtlinien des Anthroposophen Rudolf Steiner, es kommen beispielsweise sogenannte biologisch-dynamische Präparate zum Einsatz und die Kühe dürfen ihre Hörner behalten.
Auch die Molkereien arbeiten mit Verbänden zusammen, im Falle der Milchwerke in Piding, wohin fast alle Biobauern aus der Gemeinde Saaldorf-Surheim ihre Milch liefern, mit Naturland und Demeter. Bereits im Februar war die Molkerei auf der Suche nach weiteren Umstellungsbetrieben, allerdings nur nach solchen, die sich entscheiden, Milch in Demeter-Qualität zu liefern, wie Barbara Steiner-Hainz, die Leiterin der Presseabteilung der Molkereigenossenschaft in Piding, auf Nachfrage der Heimatzeitung berichtet. Inzwischen sei man auf der Suche nach zwanzig interessierten Betrieben, die Demeter-Milch liefern können. Zum Vergleich: Im gesamten Landkreis Berchtesgadener Land erfasst Piding die Bio-Milch von 76 Naturland-Betrieben, während es bei Demeter-Betrieben nur acht sind. Die Aufnahme erfolge, so Steiner-Hainz, nach individueller Prüfung, wobei die Betriebe natürlich geographisch im Milcheinzugsgebiet entlang des Alpenhauptkamms zwischen Watzmann und Zugspitze liegen müssen, um aufgenommen zu werden.
Weiter heißt es, dass bei konventionellen Betrieben im Moment solche aufgenommen würden, die im Berggebiet nach EU-Definition wirtschaften, wohingegen Naturland-Bauern aktuell nicht neu aufgenommen würden. Hier gibt es laut Steiner-Hainz eine Warteliste mit Betrieben, mit denen, sollte die Nachfrage nach Bio-Milch weiter steigen, Kontakt aufgenommen werde. Die Liste enthält derzeit mehr als fünfzig Betriebe, inklusive eigener Mitglieder, die Interesse an einer Umstellung haben. Deshalb empfiehlt die Molkerei BGL allen Landwirten, vor einer Umstellung frühzeitig mit ihr in Kontakt zu treten, um die individuellen Chancen beziehungsweise die Wartezeiten für eine Bio-Milcherfassung abzustimmen.
Bei der in Andechs beheimateten Bio-Molkerei Scheitz hat sich die Lage im Vergleich zum Vorjahr dahingehend geändert, dass es im Moment keine lange Wartelisten für umstellungswillige Bauern gibt und man aufgrund der gestiegenen Nachfrage auf der Suche nach weiteren Bio-Kuhmilch- und Bio-Ziegenmilch-Lieferanten ist. Die Andechser arbeiten mit Bioland zusammen, wobei es den Bauern jedoch überlassen bleibt, zu welchem Verband sie gehen. Christian Wagner, der Leiter der Abteilung Milcheinkauf und Rohstoffmanagement, erklärt auf Nachfrage, dass man grundsätzlich Bio-Milchbauern aufnehme, jedoch jeder Betrieb einzeln geprüft werde. Außerdem solle das Erfassungsgebiet, das im Allgäu und in Oberbayern liegt, weiter verdichtet werden.
Es gibt also durchaus Perspektiven für umstellungswillige Milchbauern in unserer Region, sie müssen sich allerdings bei den Molkereien zielgenau informieren, bevor sie sich auf den Weg machen.
Die zehn „Umsteller“ aus Saaldorf-Surheim sind sich allesamt einig, dass sie den richtigen Schritt in Richtung einer mensch-, tier- und umweltgerechten Landwirtschaft gegangen sind, wobei die individuellen Beweggründe ganz unterschiedlich sind. Die einen wollten schon immer ohne Kunstdünger und Spritzmittel arbeiten und mehr auf Qualität denn auf Masse setzen. Denn dass Qualität und Geschmack der Bio-Milch maßgeblich von der natürlichen Fütterung der Kühe mit frischen Gräsern und Kräutern abhängt, ist unbestritten.
Andere sprechen von „schönerem“ Wirtschaften im Einklang mit der Natur, und dass für sie das „Umstellen im Kopf“ das wirklich Schwierige war. Und manche sind auch Realisten, sagen, dass es unterm Strich für ihren Betrieb nur eine Zukunft mit Bio gegeben habe und dass sie die Umstellung nicht bereut hätten. Der kühle Rechner, der erst einmal sämtliche Zahlen gegenübergestellt hat, erklärt, dass er mit Bio-Milch ein eindeutig besseres Betriebsergebnis einfährt und Entwicklungspotenzial nur bei Bio sieht. Ein Landwirt „outet“ sich, er habe sich plötzlich die Sinnfrage gestellt, das System von immer mehr Wachstum hinterfragt und sei inzwischen „infiziert“, biologisch zu wirtschaften. Auch für ihn war die Umstellung im Kopf das Aufwändigste. Und einer, der im letzten November sein Umstellungszertifikat bekommen hat und damit der „jüngste Umsteller“ der Gemeinde ist, gibt unumwunden zu, dass es ihn ärgert, dass er nicht schon vor zehn Jahren auf Bio umgestellt hat. Bei ihm auf dem Hof dürfen die Kühe sogar ihre Hörner behalten, obwohl das gar nicht in den Richtlinien „seines“ Anbauverbandes verankert ist.
Infos über aktuelle Milchpreise gibt es auf den Internetseiten der Molkereien sowie beim Verband der Milcherzeuger Bayern e.V. (VMB), der die verfügbaren Milchpreise für Deutschland regelmäßig auswertet und sie unter www.milcherzeugerverband-bayern.de zur Verfügung stellt.
Artikel von Karin Kleinert aus der Südostbayerischen Rundschau vom 23.05.2020
„Das Umstellen im Kopf ist das Schwierige“
Corona als Chance: Über die Perspektiven von Milchbauern, die auf Bio setzen wollen
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