Ein Großteil der Bio-Karotten kommt ursprünglich aus den Niederlanden oder aus Nord-Deutschland. Immer mehr Verbraucher suchen bewusst nach heimisch erzeugter Ware. Diese Nachfrage spüren auch regionale Karotten-Verarbeiter und möchten Landwirte in der Region kennen lernen, die sie beliefern können. Gleichzeitig suchen junge Bauern neue Perspektiven in der Landwirtschaft. Hier ist der Anbau der Karotte ein Weg. Anstatt für den anonymen Weltmarkt zu produzieren, möchten diese Bauern Nahversorger für die Bürgerinnen und Bürger ihrer Gemeinden werden - oder Lieferanten der ansässigen Karotten verarbeitenden Unternehmen. Dabei soll die Vielfalt der Karottensorten „schmeckbar“ werden. Mehrere kleine Betriebe aus der Ökomodellregion Waginger See- Rupertiwinkel bringen bereits Erfahrungen mit dem Karottenanbau mit, aber der Feldgemüsebau zwischen Altötting und Berchtesgaden bietet noch viel Potential für die Zukunft. Deshalb unterstützen die Öko-Modellregionen Inn-Salzach und Waginger See – Rupertiwinkel Neueinsteiger unter den Landwirten mit Praxiswissen. Ziel ist es, den Zugang der Verbraucher zu heimischen Bio-Karotten zu erleichtern und neue Perspektiven für die hiesige Landwirtschaft zu schaffen. In diesem Rahmen veranstalteten die Öko-Modellregionen diesen Sommer zwei Feldexkursionen zum ökologischen Karottenanbau.
Die erste Exkursion ging zum Hof von Familie Wichtlhuber in Tittmoning-Lohen. Die Jungbauern Alexander und Manuel bewirtschaften gemeinsam mit ihren Eltern den Betrieb. Auf den ökologisch bewirtschafteten Flächen (Mitglied im Verband Naturland) wächst Dinkel, Futter für das Vieh und, seit 2020, auch Karotten, Zwiebeln und Kartoffeln. „Ich war neugierig und wollte den Karottenanbau dieses Jahr einfach mal ausprobieren“, erzählt Alexander. „Die Sätechnik habe ich mir von meinem Kollegen Hans Glück aus Grassach ausgeliehen. Das war eine große Hilfe für den Start. Denn teure Maschinen kaufen, lohnt sich für uns Bauern erst, wenn wir ein bis zwei Versuchsjahre Erfahrungen sammeln konnten.“ Gastreferentin war Franziska Blind, Fachberaterin für Feldgemüsebau beim Bioverband Naturland. Sie befürwortete Alexanders Vorgehen: „Eine gemeinschaftliche Anschaffung der Technik macht Sinn – auch langfristig.“ Franzi kennt Karottenbauern in ganz Bayern und berichtete aus ihrem reichen Erfahrungsschatz. „Die Karottensamen keimen langsam. Deswegen ist das Wichtigste, dass das Unkraut in Schach gehalten wird. Bio-Bauern verzichten komplett auf chemisch synthetische Pflanzenschutzmittel, deswegen ist „Abflammen“ die Devise. Blind erläuterte, dass man dazu, kurz bevor die Karottenkeimlinge aus der Erde kommen, mit einer bodennah angebrachten Gasflamme über den Acker fahre. Diese erhitzt das Unkraut in Sekundenschnelle und es stirbt ab. „Verschläft“ der Landwirt den richtigen Moment nur um einen einzigen Tag, kann er nicht mehr abflammen. Er würde den Keimling „flambieren“, wodurch dieser abstirbt. Da bliebe nur das Handjäten – und das verursache die größten Kosten. Wenn die Jungpflanzen zwei Wochen alt seien, sollte maschinell zwischen den Karottenreihen gehackt werden. Am besten so nah wie möglich an der Pflanze. Der Rest müsse per Hand gejätet werden.
Mit der maschinellen Ernte seien Erfahrungen der Bauern sehr verschieden gewesen. So eine Anschaffung sei sehr kostspielig. Die maschinelle Rodung müsse zur richtigen Zeit erfolgen und könne nicht so schonend verlaufen wie eine Handrodung – aber natürlich verursache diese große Arbeitsspitzen im Betrieb. Eingelagert werden die Karotten mit Erde in Kisten. Das sei eine alte Bauernweisheit. „Wenn die Erde dran bleibt, bleibt die Karotte lange frisch.“ Erst kurz bevor sie den Wochenmarkt oder den verarbeitenden Betrieb erreiche, dürfe sie gewaschen werden. Dabei kämen Fließbandwaschanlagen oder, ähnlich wie eine Waschmaschine, Waschtrommeln zum Einsatz.
Das nächste Treffen fand am Biohof Glück in Tittmoning-Grassach statt, einem Bio-Urgestein aus der Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel. An dem lauen Sommerabend traf sich wieder ein Dutzend am Feldgemüsebau interessierter Bauern und Bäuerinnen. Hans Glück ist im Gelbe Ruam-Anbau ein „alter Hase“. Seit circa 30 Jahren ist die Karotte ein fester Bestandteil seines Sortiments. Neben dem Abflammen greift Hans auf eine Hackbürste der Marke „Eigenbau“ zurück, die sich von Anfang an bewährt habe. Diese sei, aufgrund ihrer langen Nutzungsdauer, „echt wirtschaftlich“. „Ich bürste den Bereich zwischen den Karottenreihen circa einen Zentimeter tief, sodass das Unkraut ausgerissen wird. Danach habe ich ein feines sauberes Beet. In der Reihe muss ggf. nochmal mit der Hand gejätet werden. Diese Arbeit hält sich in der Regel in Grenzen. Wenn Wetter und Unkrautregulierung gepasst haben, brauche ich nicht mehr mit der Hand nacharbeiten.“ In den anschließenden Wochen folgen ein bis zwei weitere mechanische Hackvorgänge zwischen den Karottenreihen. Dabei häufe Hans Erde zur Karotten hin und verschütte Beikräuter. Einer der Teilnehmer, Hans Urbauer, baute auch viele Jahre Karotten an seinem Hof in Kienberg an. „Für den Fall, dass das Unkraut doch überhandnimmt, braucht es einsatzfreudige Familienmitglieder. Meine Mutter hat beim Hacken auf dem Feld oft eine enorme Leistung z´sammbracht.“
Hans Glück berichtete, dass ein wesentlicher Punkt für den erfolgreichen ökologischen Karottenanbau die „vielfältige Fruchtfolge“ sei. „Umso vielfältiger und abgestimmter die Fruchtfolge ist, also, umso mehr unterschiedliche aneinander angepasste Kulturen ihr auf eurem Acker anbaut, desto weniger Aufwand müsst ihr betreiben. Und der Ertrag passt auch!“ Bauer Hans erklärt, dass die wichtigsten Schädlinge meist auf eine Kultur spezialisiert sind und „verhungern“, wenn fünf bis sieben Jahre jedes Jahr eine neue Kultur auf der Fläche steht. „Und schaut, dass ihr Humus im Boden aufbaut, also den Boden fruchtbar haltet. Und nicht zu schwere Maschinen verwendet. Das verdichtet. Wenn der Boden passt, müsst ihr selbst in normal heißen Sommern nicht gießen. Meiner Lebtag lang habe ich die Karotten noch nicht gegossen – allerdings machen die zunehmenden Extremsommer hier künftig wohl auch Anpassungen bei der Wasserversorgung erforderlich“.
Der Erfolg gibt ihm recht – trotz steiniger Böden mit niedriger Bodenpunktzahl erntet Glück oft die größten Karotten. Hier kommen die Vorteile einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft ins Spiel: Während auf großen spezialisierten Feldgemüsebaubetrieben der Vermeidung von Schäden durch die Möhrenfliege extrem viel Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, spielt sie hier fast keine Rolle.
Nachdem von der Aussaat bis zur Lagerung alle Zwischenschritte besprochen wurden, griff Hans Glück zum Spaten. „Raus mit euch“, sagte er und griff einen Bund frische Karotten am grünen Zopf. „Wenn ihr die gelbe Wurzel mit den grünen Blättern abreibt, löst sich die Erde von der Karotte und sie ist bereit zur Verkostung“. Dabei verteilte er die Karotten an die Teilnehmer. Ein angenehmer Karottenduft verbreitete sich und die Teilnehmer konnten die ganze Vielfalt live am Acker schmecken – ganz nach dem Motto „frischer geht’s nicht!“.