Artikel von Brigitte Sojer aus der SOR vom 15.11.2019
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Was sind überhaupt Pestizide, wer verwendet sie und wo befinden sich diese? Als Pestizide werden viele unterschiedliche chemisch-synthetischen Stoffe und Stoffkombinationen bezeichnet, die im jeweiligen Anwendungsbereich giftig gegen unerwünschte Organismen (Tiere, Pflanzen oder Mikroorganismen) wirken. Man kann die Pestizide nach Einsatzzweck unterteilen, in sogenannte „Pflanzenschutzmittel“ im Agrar-, Forst- und Gartenbereich einerseits, und Biozide zur Bekämpfung unerwünschter Lebewesen im Haushalt, beispielsweise das Giftarsenal der Kammerjäger. Außerdem werden die Gifte nach „Ziel-Organismen“ eingeteilt. So gibt es etwa Insektizide (gegen Insekten), Herbizide (gegen Pflanzen), Fungizide (gegen Pilze) und viele weitere Mittel gegen Vögel, Milben, Schnecken, Nagetiere und Fadenwürmer. In Deutschland sind 1.581 zugelassene Produkte mit 277 Wirkstoffen (z. B. Glyphosat, Neonicotinoide) erhältlich. Rund 101.372 Tonnen werden pro Jahr allein in Deutschland verbraucht. Pro Kopf entspricht das 1,2 kg Pestizide. „Pestizide finden sich überall – in der Antarktis, im Hochgebirge, Naturschutzgebieten, Flüssen und Seen, im Trinkwasser, bis hin zur Schokolade, Honig oder im Blut“, sagte Dr. Zaller. Am Beispiel von Neonicotinoiden, einem Beizmittel für Mais und weitere Kulturen, das sich von der Wurzel bis zum Pollen in der ganzen Pflanze verteilt und so jedes beißende, saugende oder auch nur wasserleckende Insekt erreicht, erläuterte Dr. Zaller die enorme Schädlichkeit bestimmter Pestizidgruppen für Bienen und Wasserorganismen. „Drei dieser Mittel sind inzwischen bei uns verboten, acht weitere bleiben im Einsatz“, so Zaller.
Lösungsansätze hob Prof. Dr. Zaller in seinem Vortrag besonders hervor. Dazu gehöre grundsätzlich politischer Mut, den Pestizidverbrauch zu reduzieren. Neben einem Werbeverbot und einer Steuererhebung auf Pestizide, wie sie in einigen Nachbarsländern bereits wirksam praktiziert wird, sollten für die Verbraucher auf Lebensmitteln die verwendeten Pestizide angegeben werden. Pestizide im privaten Garten sollten ganz untersagt werden, da sie meist nur aus ästhetischen Gründen eingesetzt werden. „Haben Sie Mut zur „Schlampigkeit“, es muss nicht immer alles perfekt sein, sondern natürlich“, empfahl Dr. Zaller. Zukünftig müsse der Biolandbau viel mehr gefördert werden. Lebensmittel aus Bio-Anbau haben nicht immer mehr Vitamine oder sind gesünder als Produkte aus der konventionellen Landwirtschaft. Der große Unterschied findet beim Anbau statt: Gemüse und Obst aus der Biolandwirtschaft wird während des Wachstums auf dem Acker nicht mit chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln behandelt, bis auf wenige, zugelassene Ausnahmen, wie z.B. Kupfer oder Schwefel im Weinbau, und auch dort nur in sehr begrenztem Umfang.
„Es ist unverständlich – da werden im konventionellen Ackerbau zu jeder Wachstumsphase einer Kartoffel mehrere, verschiedene Pestizide bereits vorbeugend empfohlen“, stellte Dr. Zaller ein gängiges Pestizid-Anwendungsschema einer großen Chemiefirma vor. Pestizide werden teilweise auch zur Ernteerleichterung verwendet - so kann ein Bauer mithilfe von Pestiziden z.B. den Erntezeitpunkt genau bestimmen oder eine Zwischenfrucht beseitigen, ohne den Boden zu pflügen. Wichtig war es Professor Zaller, die Schuld dafür nicht beim einzelnen Landwirt zu suchen, der ein kleines Rädchen in der Agrarpolitik ist - von der Ausbildung bis zur Förderung. Auch wenn in Europa Höchstgrenzen für Pestizidrückstände gelten, sei es kritisch zu betrachten, wie diese Richtlinien festgelegt werden. Es gibt Mindestgrenzen nur für einzelne Gifte, nicht aber für Kombinationen - und bei Bedarf werden sie nach oben angehoben, wie es z.B. für Glyphosat in Getreide der Fall war. Das Vorsorgeprinzip einer guten fachlichen Praxis, Pestizide nur bei Überschreitung von Schadschwellen einzusetzen, geht in der Praxis oft unter, weil ein Bild vom sauberen Acker oder sogar der Randstreifen propagiert wird. Der Einsatz eines Pestizids zieht aber oft weitere Einsätze mit sich, weil das natürliche Gleichgewicht von Schädlingen und Nützlingen aus dem Takt gerät. Ökobauern bekämpfen Unkräuter mechanisch und versuchen, durch eine intelligente Fruchtfolge Schädlinge einzudämmen und die Bodengesundheit zu erhalten, anstatt Pestizide einzusetzen, um Unkräuter zu vernichten, Pilzbefall zu bekämpfen und Insekten abzutöten. Selbst die Bio-Lebensmittel sind allerdings nicht immer pestizid-frei, da sich die Gifte zum Beispiel über das Grundwasser oder die Luft verbreiten und Bio-Ackerbau nun mal nicht in hermetisch abgeriegelten Gegenden stattfindet, sondern zum Teil in direkter Nachbarschaft zu Feldern konventioneller Landwirte. „Wenn man sich die Abdrift von Pestiziden anschaut, ist ein Nebeneinander zwischen konventionellem und biologischem Anbau z.B. in intensiven Obstbaugebieten meiner Meinung nach nicht verträglich“, sagte der Professor. Ein Apfel aus einer mitteleuropäischen Plantage werde im Schnitt einunddreißig Mal pro Saison mit Pestiziden behandelt.
Marlene Berger-Stöckl von der Ökomodellregion als Diskussionsleiterin lud Bio-Bauer Hans Empl, der vor rund acht Jahren umsattelte, ein, den Interessierten über seine Erfahrungen beim Umstieg in die Biolandwirtschaft zu berichten. Es sei relativ einfach gewesen, sich umzuorientieren, so der Landwirt aus Trostberg. „Im Getreide habe ich anfangs gestriegelt, inzwischen spare ich mir oft auch das Striegeln. Die meisten Unkräuter, wie die blauen Kornblumen, sind nur eine geringe Konkurrenz zur Nutzpflanze. Nur wenige Unkräuter, auf die ich achtgebe, können den Ertrag deutlich mindern. Das Wichtigste ist für mich ein gesundes Bodenleben, es soll nicht durch Fungizide oder ähnliche Gifte beeinträchtigt werden“ so Empl. Er empfiehlt jungen Bauern „mehr Gelassenheit und eine gewisse Grundtoleranz“. Auf die Frage eines Besuchers hin, warum er dann früher gespritzt habe, antwortete Empl: „Es ist uns halt nicht anders gelernt worden.“ Die Schwierigkeit, umzustellen, liege „vor allem im Kopf“, und nicht auf dem Acker.
Der Einsatz von Pestiziden weitet sich aber derzeit aus. „Allein im Gemüsebau werden 17 x mehr Pestizide eingesetzt, als vor 40 Jahren - und der Trend steigt“, stellte Dr. Zaller fest. Pestizide werden mit einer steigenden Anzahl an Erkrankungen in Verbindung gebracht, wie z.B. Störungen des Immunsystems, des Hormonsystems, Unfruchtbarkeit bei Männern u.a.m. Großflächige Untersuchungen z.B. von einer Regierungsorganisation gibt es bisher nicht. Bei Glyphosat zum Beispiel besteht der Verdacht auf Krebserkrankungen, Fungizide im Weinanbau werden mit Parkinson korreliert. Letzteres wird in Frankreich generell als Berufskrankheit von Bauern anerkannt, in Einzelfällen auch bereits in Deutschland. Bei der Risikoabschätzung für Pestizide „…kann auch auf Studien der Industrie zurückgegriffen werden, aber nur, wenn die dahinterliegenden Daten transparent offengelegt werden“, sagte Zaller. Von schädlichen Wirkungen der Pestizide betroffen seien vor allem auch die Landwirte selbst und ihre Familien. „Sollen wir die Gesundheit eines Berufsstandes für die Erzeugung von Lebensmitteln opfern?“, so der Experte.
In Europa werden hochgiftige und teils bei uns verbotene Pestizide hergestellt, die dann an Schwellenländer verkauft werden. Besonders Obst und Gemüse aus Nicht-EU-Ländern wie Papaya, Passionsfrüchte, aber auch Küchenkräuter und Salate sind stark belastet. Dort wurden deutlich häufiger Grenzüberschreitungen festgestellt (4,4%) als bei Erzeugnissen aus Deutschland (0,6%) oder der EU (0,9%). Neue Herausforderungen für den ökologischen Anbau bringt auch die neue EU-Verordnung, die ab 2021 gültig ist.
Leonhard Strasser, Sprecher des Agrarbündnisses, bedankte sich bei Prof. Dr. Zaller für den inhaltsreichen Vortrag sowie bei den Besuchern für die rege Beteiligung. Die Erkenntnis des Abends: Es wird höchste Zeit, sich mit gründlich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen – schließlich betrifft es uns alle.