Waging, Freilassing. Die Region von Waging bis Berchtesgaden wäre von Natur aus eine landwirtschaftliche Muster-Biomodellregion. Doch nur wenige Bauern produzieren ökologisch. Das liegt an einer starken traditionellen Landwirtschaft und an fehlenden Möglichkeiten von Absatzmärkten zu einer Zeit, in der vor Jahren andere Regionen, wie etwa Salzburg, ihren Bauern Umstiegshilfen in Form von höherpreisigen Segmenten ermöglichten. Das zu ändern, ist sowohl das Ziel der Biosphärenregion Berchtesgadener Land als auch der Ökomodellregion Waginger See. Beide Organisationen überlappen sich nicht nur, was ihr Ziel angeht, sondern auch in ihrem Wirkungsbereich: Die Gemeinden Laufen, Saaldorf-Sruheim und Teisendorf sind noch in beiden Verbänden, erwägen aber einen Ausstieg aus der Ökomodellregion. Kann man angesichts dessen von einem „Biokrieg“ sprechen? Die Heimatzeitung hat sich mit den Verantwortlichen zusammengesetzt. Und dabei gemerkt: Das Ansinnen an sich, mehr nachhaltigere Landwirtschaft in der Region zu etablieren, ist schon deutlich älter als die beiden genannten Organisationen. So besteht bereits seit einem halben Jahrhundert die Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege in Laufen als Bildungs- und Forschungseinrichtung. Als Erfolg für sich kann sie in der jüngeren Vergangenheit die Wiederentdeckung des Laufener Landweizens vorweisen.
Projektpartner dabei war die 1990 geschaffene Biosphärenregion Berchtesgadener Land. Eine umweltgerechte Landbewirtschaftung ist eines ihrer zentralen Themen. Die Organisation sieht die nachhaltigen Formen der Landwirtschaft in positiven Wirkungen auf den Erhalt natürlicher Ressourcen. Aus diesem Grund zielt die Arbeit der Biosphärenregion vornehmlich darauf ab, die traditionell-kleinbäuerliche Landwirtschaft zu stärken und den Ausbau der ökologischen Landwirtschaft zu fördern. So sieht es der gesetzliche Auftrag.
Jünger, weil erst 2013 gegründet, ist die Öko-Modellregion Waginger See-Rupertiwinkel. In den vergangenen sieben Jahren hat sie aber ebenfalls bereits eine große Bandbreite an Projekten umgesetzt, angefangen von der Erzeugung und Verarbeitung über Vermarktung und Gemeinschaftsverpflegung bis hin zur Bildung. Das neueste Projekt, ein gemeinsames touristisches Euregio-Projekt mit der Heumilch-Seenregion im Flachgau, ist gut unterwegs.
Die Modellregion sieht sich als Vorreiter im ökologischen Landbau. Im Fokus der Öko-Modellregion steht aber nicht nur die Steigerung der Öko-Anbaufläche, sondern auch die Verbindung von Regionalität und ökologischer Erzeugung. „Es geht bei den Öko-Modellregionen vor allem darum, die in den Regionen vorhandenen Potenziale zu erschließen und gemeinsam mit engagierten Akteuren vorhandene Strukturen zu beleben oder neue aufzubauen“, so Projektleiterin Marlene Berger-Stöckl. Hier sehen die Bauern eine effiziente Organisation zur Umsetzung ihrer Ziele.
Was heißt das konkret? Man will mehr Anreize für biologische Produktion schaffen. Gleichzeitig sollen die Absatzmärkte vergrößert werden, indem das Bewusstsein für Ökoprodukte bei den Konsumenten gestärkt wird. Es gebe diesbezüglich weiterhin großes Potenzial.
Absatz und gute Preise helfen Bauern überleben
In Salzburg werden heute 49 Prozent der Milch biologisch erzeugt und erzielen einen höheren Milchpreis (Bioheumilch 0,57, Biomilch 0,52 Euro, konventionell erzeugte Milch 0,413 Euro/kg brutto), in Südostbayern werden für Demetermilch 0,54 Euro, für Biomilch ebenfalls 0,52 Euro, für konventionell erzeugte Milch 0,37 bis 0,40 Euro/kg bezahlt. Biomilch wird in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land überwiegend von den Milchwerken Berchtesgadener Land Chiemgau AG in Piding angenommen und zwar immer soviel, wie der Absatz benötigt.
Die geringen wirtschaftlichen Anreize und bescheidene Möglichkeiten bei der biologischen Produktion und dem Absatz sowie nicht vorhandene Bewusstseinsbildung für Ökoprodukte bei den Konsumenten gaben in der Vergangenheit in Bayern nicht so recht einen echten Aufschwung. In den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land gibt es einen Biobauernanteil von 13,9 Proz. Im Vergleich: im gegenüberliegenden Salzburger Flachgau mit ähnlichen klimatischen Bedingungen eines Alpenvorlandes sind es 40 Prozent. Insgesamt in Bayern beträgt der Biobauernanteil 7,5 Proz., in Salzburg sind es 49 Proz.
Der Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel gehören die Gemeinden Waging am See, Taching am See, Kirchanschöring, Petting, Wonneberg, die Stadt Tittmoning, Fridolfing aus dem Landkreis Traunstein und die Gemeinden Laufen, Saaldorf-Surheim und Teisendorf aus dem Landkreis Berchtesgadener Land an. Das Staatsministerium gewährte der Organisation eine Starthilfe, die bis zum April 2022 verlängert wurde, aber nunmehr degressiv von 60 auf 20 Proz. abgesenkt wird. Das heißt, der finanzielle Anteil der Mitgliedsgemeinden steigt parallel dazu an und beträgt etwa für Waging 11.556 Euro für 2020 und 12.639 Euro für 2021. Dann müssen die Gemeinden die Finanzierung selbst tragen.
Die Gremien der Kommunen sind sich darüber einig, dass das Projekt gut auf dem Weg ist und die Arbeit der Projektleiterin Dipl.-Ing. Marlene Berger-Stöckl wird allerorts als erfolgreich gewürdigt. Allerdings sehen die Gemeinden die Eigenfinanzierung nach Auslaufen der Förderungsphase durchaus kritisch und ein weiterer Bestand ist noch nicht gesichert, obwohl Dutzende Initiativen auf den Weg gebracht wurden.
Bereits unter Landrat Georg Grabner wurden die drei Mitgliedsgemeinden im Berchtesgadener Land ermuntert, auch der Biosphärenregion beizutreten. Ihr gehören nun alle Gemeinden des Landkreises an. Die Gemeinden Laufen, Saaldorf-Surheim und Teisendorf haben „Vorratsbeschlüsse“ gefasst, um gegebenenfalls aus der Ökomodellregion aussteigen zu können. Leicht haben es sich die Kommunen dabei nicht gemacht (wir berichteten). Vor allem wurden in den Gemeinderäten die nunmehrigen Doppelstrukturen bemängelt – teils mit harschen Worten.
„Beide Aufgabengebiete überschneiden sich und diese Doppelstrukturen sind wenig sinnvoll“, so Thomas Gasser, Teisendorf. Elisabeth Aschauer (Bündnis 90/Grüne) meinte zum Grundsatzbeschluss, im Gegensatz zur Ökomodellregion habe die Biosphäre bisher nicht viel gemacht, und Edwin Hertlein, von derselben Gruppe: „Die Biosphärenregion gibt es seit 28 Jahren, die Erfolge sind gering und es entbehrt jeder Logik, aus einem erfolgreichen Modell, das bei den Bürgern ankommt, auszusteigen“. Laufens Bürgermeister Hans Feil attestiert den Wagingern beste Arbeit. „Mit dem biozertifizierten Schlachthof und dem Biosaft der Kelterei Greimel haben wir zwei Leuchtturmprojekte. Wir werden uns bis zum Herbst anschauen, was die Biosphärenregion liefern kann“. Andreas Buchwinkler, der neue Bürgermeister von Saaldorf-Surheim, ist selbst Biobauer und verfolgt die Arbeit beider Organisationen aus fachlicher Distanz. „Wir werden uns in den nächsten Monaten beide ansehen und dann einen endgültigen Beschluss fassen“.
Eine Stelle hier – zehn Stellen da
Entsprechend unter Druck stehen die beiden Organisationen, auch zu liefern. Doch kämpfen sie dabei mit gleichen Mitteln? Die Ökomodellregion mit Sitz in Waging und den zahlreichen Aktivitäten wird in Zukunft von der Projektleiterin alleine bei fallenden Arbeitsstunden gemanagt. Die Biosphärenregion mit Sitz in Freilassing beschäftigt zwölf, vor allem akademische, Mitarbeiter. Deren Leiter, Dr. Peter Loreth, betont allerdings: „Auch als Akademiker fehlt es uns nicht an praktischer Erfahrung, daher arbeiten wir sehr praxis- und ergebnisorientiert.“ Er sieht in beiden Organisationen kein Konkurrenzdenken: „Es ist ein Nebeneinander.“ Aber: „Ja, in der Landwirtschaft stellen wir da und dort überschreitende überschneidende Ziele fest“.
Artikel aus der Südostbayerischen Rundschau vom 22.08.2020, Autor Prof. Josef A. Standl