Damit nehmen die Gemeinden und ihre Bürger die Verantwortung für Biodiversität wahr. Dieses Kooperationsprojekt des EU-Programms LEADER wird mit rund 123.000 Euro vom Bayerischen Landwirtschaftsministerium gefördert. Auch der Bayerische Naturschutzfond beteiligt sich mit rund 60.000 Euro. Die Schaffung naturnaher kommunale Grünflächen waren bereits Teil des Bewerbungskonzepts der 2014 ins Leben gerufenen Ökomodellregion (ÖMR) Waginger See-Rupertiwinkel. 2018 wurde der Förderantrag auf den Weg gebracht. Bis auf die Gemeinde Wonneberg als Gemeinde mit der geringsten Flächenanzahl, die das Projekt dennoch wohlwollend begleitet, schlossen sich alle neun ÖMR-Gemeinden an – Waging, Taching, Tittmoning, Petting, Kirchanschöring und Fridolfing aus dem Kreis Traunstein und Laufen, Saaldorf-Surheim und Teisendorf aus dem Berchtesgadener Land - sowie die Nachbargemeinde Kirchweidach im Kreis Altötting und Bad Endorf aus dem Kreis Rosenheim.
„Biodiversität braucht Vorreiter. Die Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel ist so ein Vorreiter, aber auch ein Vorbild für ganz Bayern“, würdigte Kaniber das gemeinsame Engagement vieler Beteiligter und Netzwerkpartner, das sich auch in der vielfältigen Gästeschar zeigte.
Bisher waren viele der kommunalen Grünflächen regelmäßig gemäht oder gemulcht worden. Das Mulchen, das Belassen des Mähguts auf der Fläche, ist wie eine permanente Düngung und verdrängt konkurrenzschwache Gräser, Kräuter und Blumen. Insekten und anderen Wildtieren fehle es an Nahrung, Brut- und Nistmöglichkeiten, ergänzte Kaniber. Sie warb dafür, das auf diesen Flächen erworbene Wissen in die Privatgärten weiter zu tragen, und richtete sich dabei an Multiplikatoren wie Imker-, Naturschutz- und Landschaftspflegeverbände oder Gartenbauvereine. Bayerns rund zwei Millionen Gartenbesitzer bewirtschafteten immerhin 345.000 Hektar, „eine Fläche, die fast fünf Prozent unserer landwirtschaftlichen Fläche entspricht“.
Das Planungsbüro Wolfgang Schuardt aus Traunstein begann im September mit den Vorarbeiten. Die Flächen von Teisendorf und Tittmoning sind bereits vollständig erfasst. Die Erarbeitung des Konzepts wird von den Kreisfachberatern Markus Breier (Traunstein) und Sepp Stein (Berchtesgadener Land) im Hinblick auf die Praxistauglichkeit begleitet. Die Kreisfachberater und die Naturschutzakademie Laufen engagieren sich auch in geplanten Infoveranstaltungen und Schulungen, etwa für Mitarbeiter der Bauhöfe, Wichtig werde es auch sein, Gerätschaften und Maschinen entsprechend der naturverträglichen Pflegeziele umzustellen, erläuterte Schuardt.
Über die extensivere Bewirtschaftung von Grünstreifen hinaus werden in jeder Gemeinde laut Planer Konzepte für Flächen mit besonderem Aufwertungspotential erarbeitet. So können Trockenlebensräume für Zauneidechsen und Schlingnattern, Feuchtlebensräume mit Tümpeln oder neue Streuobstwiesen entstehen. Am Beispiel des Lindenparks mit alten, exotischen Bäumen, wo die Vorstellung des Konzepts stattfand, erklärte Schuardt alternative Pflegemöglichkeiten: Stammholzstücke der absterbenden Esche könnten für Käfer und Pilze in Strauchgruppen eingebracht werden. Am Teich könnten Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten für Tiere geschaffen werden. Die von Schulen und Kindergärten genutzte Rasenfläche könne zumindest in Teilbereichen zu blumenbunten Wiesen oder Kräuterrasen entwickelt werden.
„Stirbt die Biene, stirbt der Mensch“, gab Ulrike Lorenz vom Naturschutzfond des Umweltministeriums zu bedenken: Fast 90 Prozent aller menschlichen Nutzpflanzen seien auf Bestäuberleistung von Insekten angewiesen. Das erfolgreiche Artenvielfalts-Volksbegehren 2019 habe den Bewusstseinswandel in der Gesellschaft gezeigt. Das Pflegekonzept sei „toll für jede einzelne Fläche“, aber auch für den ökologischen Verbund, der entstehe. Es sei nicht nur ein Netzwerk der Flächen, sondern auch ein „Netzwerk der Köpfe“. Lorenz ermutigte zu „mehr Wildnis im Kleinen“ und zum Sprechen über das Projekt, das sicher Diskussionen auslösen werde.
Stimmen zum Ökologischen Pflegekonzept
Dass sich die Kommunen hier als Vorreiter und Vorbild zeigen, wurde von Landrat Bernhard Kern (Berchtesgadener Land) ebenso gelobt wie von Alfons Leitenbacher vom AELF Traunstein, Traunsteins BBV-Kreisobmann Sebastian Siglreithmeier und Matthäus Michlbauer von der BBV-Geschäftsstelle in Traunstein. Die Bauern seien bereits sehr aktiv, etwa mit Blühstreifen und Feldrandstreifen, betonte Michlbauer. Eine zusätzliche freiwillige Kooperationsmöglichkeit sieht er darin, an Straßenrändern die Wiese später zu mähen. Beate Rutkowski, Traunsteiner Kreisvorsitzende des Bund Naturschutz und Sprecherin des ÖMR-Streuobstwiesenprojekts, wünscht sich als weiteren Schritt, dass die Gemeinden „Schottergärten“ in neuen Bebaungsplänen unterbinden. Dass die Insekten jede positive Veränderung sofort würdigen, bestätigte Landschaftsgärtner Sebastian Geier, der am Bauhof Waging angestellt ist. Im Winter hat er acht Insektenhotels aufgestellt, die inzwischen alle besiedelt sind. Er wird demnächst am Rand von Wiesen und Parkanlagen des Marktes Waging auffräsen und Bienenweide-Samen säen. Den Wert der ökologischen Bewirtschaftung auch für das Wohlbefinden und die Gesundheit, das schöne Landschaftsbild und als „Attraktion“ für Urlaubsgäste hob Resi Schmidhuber, Vizelandrätin in Traunstein, hervor. „Nicht im Gegeneinander, sondern im Miteinander liegt die nachhaltige Zukunft“.
Förderung für die bayerischen Ökomodellregionen wird verlängert
Im Zuge ihrer Würdigung für die bereits siebenjährige „Erfolgsgeschichte“ der Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel brachte die Landwirtschaftsministerin einige „Geschenke“ mit. „Wir haben ein großes politisches Ziel mit 30 Prozent Ökolandbau.“ Durch mittlerweile bereits 27 Ökomodellregionen, die sich auf 29 Prozent der Landesfläche in Bayern ausdehnen, solle dies vorangetrieben werden. Deshalb habe sie entschieden, nach dem Förderende nicht auszusteigen.
„Wir unterstützen die Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel über die bislang geplanten acht Jahre hinaus mit einem Fördersatz von 20 Prozent.“ Zusätzlich versprach Michaela Kaniber Coachings, um den Ökomodellregionen zu helfen, Fördermöglichkeiten noch besser auszuschöpfen. Und herausragende neue Ideen, Impulse und Konzepte der Ökomodellregionen würden mit 50 Prozent Zuschuss unterstützt.
Artikel von Veronika Mergenthal aus dem Traunsteiner Tagblatt vom 3.7.2021