Teisendorf. Kühe der Rasse Fleckvieh grasen auf einer satten grünen Weide in Egelham, vier Hektar groß, so groß wie 50 Handballfelder. Sie leben in einer idyllischen Landschaft, im Hintergrund ragt der Hochstaufen auf. 30 Milch- und 35 Jungkühe und Kälber bewegen sich frei auf dem Bauernhof der Familie Hoiß. Jeder Wiederkäuer bekommt einen Namen. Vroni, 22 Monate alt, eine Färse, also ein geschlechtsreifes weibliches Rind, das noch nicht gekalbt hat, ist in Egelham geboren. Hier wird sie auch sterben.
Fleisch wird zäh, wenn Kuh Cortisol ausgeschüttet hat
Statt verängstigt zum Schlachthof gekarrt zu werden, wird sie ihre letzten Stunden friedlich auf dem bäuerlichen Anwesen verbringen. „Uns ist das Tierwohl wichtig“, betont Carina Hoiß, erste Ortsbäuerin von Roßdorf. So wie das Tier lebte, so schmeckt es am Ende auch. Sobald eine Kuh gestresst ist, schüttet sie Adrenalin und Cortisol aus. Das Fleisch wird dadurch zäh.
Damit die Wiederkäuer in Egelham möglichst stressfrei sterben, kommt der mobile Schlachtanhänger der Erzeugergemeinschaft Schlachtvieh Traunstein zu ihnen. Unterwegs ist er in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land. Mitfinanziert wurde der Anhänger durch die Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel, die wiederum durch das Bayerische Landwirtschaftsministerium gefördert wird.
Für den kleinbäuerlichen Familienbetrieb in Egelham ergeben sich dadurch neue Möglichkeiten: Seit August lässt Familie Hoiß die Wiederkäuer nur noch in ihrem Hof schlachten. Zuvor mussten die Kühe in Transportern zu Betrieben gebracht werden. „Wir haben bereits viel in das Tierwohl investiert und wollen mit der Zeit gehen“, sagt die Mutter dreier Kinder. Ein Metzger holt Jungkuh Vroni vom Stall. Er geht liebevoll mit ihr um, streichelt sie. Gemeinsam betreten sie den Hof der Familie Hoiß. Ein Tierarzt untersucht die Färse. Danach signalisiert er: Sie ist schlachtreif. Schlachtreif ist ein Tier, wenn es nicht mehr fruchtbar beziehungsweise eine Besamung nicht mehr vertretbar ist. Auch Verletzungen oder Unruhen in der Herde sind Kriterien für eine Schlachtung. Der Metzger tötet sie mit einem Schussapparat. Mittels Seilwinde zieht er sie über eine Rampe in den mobilen Schlachtanhänger. Darin wird das Tier zum Schlachthof nach Traunstein gebracht. Das Blut wird aufgefangen und fachgerecht entsorgt. Der Dampfstrahler reinigt den Boden. Es geht schnell, nach einer halben Stunde ist alles vorbei. „Der Aufwand dahinter ist aber enorm“, weiß die 38-Jährige. Einerseits müssen die Landwirte den Termin so abstimmen, dass Tierarzt und Metzger Zeit haben. Andererseits raubt die Bürokratie Zeit. Das Veterinäramt im Landratsamt Berchtesgadener Land muss die Schlachtung genehmigen. Sechs Zettel musste Johannes Hoiß hierfür ausfüllen. „Dieser Aufwand lohnt sich aber“, ist sich die 38-Jährige sicher.
Kindheitstraum vor sieben Jahren erfüllt
Am Tag nach der Schlachtung holen sie die Innereien ab. Der Metzger bekommt das tote Tier, wenn es abgehangen ist, und zerlegt es in seinem Betrieb. Die Metzgerei Braunsperger in Laufen verwurstet, der Biohof Gröbner in Gumperting richtet Fleischpakete her. Verwertet wird alles. Darauf legen die Ortsbauern von Egelham viel Wert. In ihrem Biohofladen verkaufen sie unter anderem Rouladen, Steak, Gulasch, Hackfleisch, Leberknödel, Braten, Suppenfleisch, Beinscheiben und Wurst.
Carina und Johannes Hoiß tun alles dafür, dass die Wiederkäuer ein schönes Leben haben. Die Kälberboxen sind größer als die Norm. Im Winter stehen die Kühe und die Nachzucht in einem geräumigen Offenlaufstall, den Johannes‘ Eltern bereits 1980 gebaut haben. Gefüttert werden die Tiere mit frischem Gras, Heu und Silage sowie mit Mais vom eigenen Feld. Anhand eines Chips können die Landwirte verwalten, wieviel Kraftfutter die Kühe benötigen. Antibiotika bekommen die Wiederkäuer nur, wenn es lebensnotwendig wird. „Sie haben definitiv ein erfülltes Leben“, betont die Landwirtin. Das Kalb wird umgehend von der Mutter getrennt, bevor eine Bindung entsteht. „Auch wenn das zunächst hart klingt: Kühe und Kälber reagieren stärker, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt getrennt werden, als wenn sie direkt nach der Geburt separiert werden“, sagt Carina Hoiß. Die Tiere seien gestresster, sie riefen und suchten intensiver nacheinander.
Noch dazu gewinnt die Herkunft der Produkte zunehmend an Bedeutung. Die Käufer fragen kritisch nach. „Man schmeckt auch den Unterschied“, berichtet die gelernte Köchin, die seit ihrer Kindheit Bäuerin werden wollte. Ihren Kindheitstraum verwirklichte sie schließlich 2017: Das Ehepaar hat den Hof von Johannes‘ Eltern übernommen. Sie führen den Familienbetrieb ebenfalls im Haupterwerb. Die Eltern hatten 2016 auf biologische Landwirtschaft umgestellt.
200 Jahre altes Backhaus noch im Einsatz
Darüber hinaus haben die beiden seit einem Jahr eine Hofkäserei mit einem Kupferkessel, der 460 Liter Milch fasst. Die Ökomodellregion Waginger See – Rupertiwinkel hat das Vorhaben unterstützt. In der Hofkäserei produzieren die beiden Weichkäse, Camembert, eingelegten Frischkäse, Schnittkäse und in Öl eingelegten Käse, der mit Kräutern aus dem Garten und Walnüssen vom eigenen Baum verfeinert wird.
„Es ist der Wahnsinn, was wir alles aus der Natur nutzen können.“ Sie legt auch Gemüse ein, kocht Fruchtaufstriche, Pesto, Sirup und einiges mehr. Außerdem backen beide in einem 200 Jahre alten Backhaus etliche Laibe Holzofenbrot aus selbst angesetztem Sauerteig. Ihre Produkte bietet sie im Hofladen an.
Damit nicht genug: Rassehunde der Gattung Bolonka Zwetna toben sich im Garten der Familie aus. Carina Hoiß züchtet seit 2013 „Bollis“. Für ihre ehemaligen Schützlinge, die deutschlandweit verkauft werden, bietet sie zudem eine Urlaubsbetreuung an. Ein Leben ohne Tiere kann sie sich nicht vorstellen.
Artikel von Patrick Vietze, Südostbayerische Rundschau vom 30.09.2024