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Nikodemus Gottschaller

Bio-Hofbäcker geht unbeirrt durch Höhen und Tiefen

Bio-Hofbäcker Nikodemus Gottschaller, Malching
Bio-Hofbäcker Nikodemus Gottschaller, Malching
© Daniel Delang

1995 zieht eine EU-Öko-Verordnung einen Preisverfall am Bio-Getreidemarkt nach sich. Nikodemus ist vom Charakter ein wehrhafter Mensch, der sich ungern in Abhängigkeiten begibt. Die Situation treibt ihn um, er kommt nicht zur Ruhe. Dann erinnert er sich an seine leidenschaftlichen Backversuche als Kind. Leider waren die Schweine die einzigen Abnehmer für seine Schrotkuchen-Kreationen. Er beginnt wieder zu backen, träumt von Rezepten, experimentiert und ist sehr bald sicher: Er möchte sein Getreide selbst verbacken und vermarkten. Als Vollblutunternehmer bring er auch noch die Gabe mit, den Zeitgeist zu erkennen und in seiner Produktentwicklung einzufangen.

Doch zunächst tritt die Bäckerinnung auf den Plan, die es weniger lustig findet, dass jemand ohne Gesellenprüfung ins Backhandwerk einsteigen möchte. Er überzeugt sie, dass er die Prüfung antreten kann. Und besteht auf Anhieb! „Es dauerte dann noch weitere sechs Monate, dann hatte ich meine Meisterprüfung in der Tasche“, erzählt er begeistert. Nun stand der Entwicklung des Backhandwerks in seinem Betrieb nichts mehr im Wege. Seine Backwaren haben nicht den schweren Charakter, den die traditionellen Vollkorn-Kastenbrote hatten. Sie sind saftig, dabei leicht und luftig und mit einer knusprigen Kruste. Ein Essener-Rezept kauft er einem Biokollegen ab. Damit steht sein Sortiment und kommt Jahr für Jahr besser an. Es folgt eine Wachstumsgeschichte, wie sie selten vorkommt. Von 1996 bis 2015 wächst das Unternehmen immer hoch zweistellig, manchmal betragen die Umsatzzuwächse übers Jahr einhundert Prozent.

Er überlegt sich, wie er das Wachstum gut managen kann. Die PV-Anlage am Dach kann den gesteigerten Energiebedarf durch das Wachstum nicht auffangen. Ein Start-up möchte Restbrote in einer Biogasanlage nutzbar machen, ein Abfallprodukt wäre ein sehr nährstoffreiches Substrat. Eine größere Bäckerei wird geplant. Doch plötzlich, 2016, stagniert das Geschäft erstmals in 20 Jahren. Das Start-up scheitert mit der Biogasanalage. Nikodemus stoppt die Pläne zum Neubau der Bäckerei. Er lernt seine jetzige Frau Beate kennen. Sie bringt neue Perspektiven mit auf den Hof: Waldbaden, eine Streuobstwiese, Menschen den Kontakt mit der Erde und Natur zu ermöglichen, stehen für sie im Vordergrund.

Mit Beginn des Ukrainekrieges brechen von einem Tag auf den anderen 50 Prozent des Umsatzes weg. „Das war die härteste Zeit meines Lebens: eine Belegschaft von 40 Mitarbeitern, die ich mir nicht mehr leisten konnte, die einem aber allesamt ans Herz gewachsen sind.“ Glücklicherweise kommt die Hälfte der Belegschaft schnell und gut woanders unter. Es ist ein Degrowth-Prozess, ein Gesundschrumpfen, das auf das sensationelle Wachstum folgt. Er und seine Frau halten zusammen, verzweifeln nicht, sondern bewahren sich ihre Zuversicht. Sie erstarren auch nicht, sondern handeln. Jetzt, zwei Jahre später, ist der Degrowth-Prozess abgeschlossen und gelungen. „Das ging an die Substanz, aber es hat sich letztlich zum Guten wenden lassen, weil genügend Rücklagen für den geplanten Neubau da waren.“ Jetzt sind die beiden zufrieden mit dem, was sie haben. Die PV-Anlage am Dach reicht wieder für den Energiebedarf der Bäckerei, die Mitarbeiter sind ausgelastet, der Betrieb läuft wieder rund. Man ahnt, welche Flexibilität und Bereitschaft, sein Schicksal anzunehmen und das Beste daraus zu machen, gefragt sind, um diesen Prozess erfolgreich durchzustehen.

Jetzt entwickelt sich gerade der Hofladen, eine Kaffeerösterei ist eingezogen. Der Betrieb, der seit jeher die Rohstoffe vom eigenen Hof und ausgewählten Kollegen bezogen hat, will jetzt auch auf der Verbraucherseite mehr daheim ankommen und Wurzeln schlagen. Was die beiden sich für die Zukunft nicht mehr vorstellen können, ist: wieder wachsen. „Es ist gut so, wie es jetzt ist“, ist die abgeklärte Haltung, die Nikodemus in der Krise entwickelt hat. Er hat alles erlebt, was man als Unternehmer erleben kann. Es wirft ihn nichts aus der Bahn, und auch die Kreativität beim Backen hat ihn nicht verlassen, wie seine Keto-Brote beweisen, die mit nur 3,6 Gramm Kohlenhydraten bei 100 Gramm auskommen.

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