In das Hamsterrad "Wachsen oder Weichen, dieses ewige 'Immer-mehr-und-immer-billiger'", das viele Landwirte in der konventionellen Landwirtschaft umtreibe, wollte Wolfgang Aicher gar nicht erst hineingeraten, erzählt er. Schon beim Generationenwechsel, als er vor 25 Jahren den Hof seines Vaters übernommen hatte, habe der Landwirt beschlossen, auf Bio, genauer gesagt Naturland-Richtlinien und EU-Bio-Verordnung, umzusteigen. Bis vor zwei Jahren hatte er noch Milchkühe, betrieb Bullenmast und Weideanbau. Nachdem noch nicht geklärt sei, in wessen Hände der Hof nach dem Ruhestand des jetzt 50-Jährigen einmal gegeben wird, wolle er keine riesigen Summen in die - falls noch Tiere am Hof wären - notwendige Renovierung der Stallgebäude investieren.
Die Werte, die für Aicher bei der Bewirtschaftung seiner Felder wichtig sind, würden für ihn und seine Lebensgefährtin Ingrid Orthuber, die in einem Bioladen arbeitet, gelten - auf dem Feld ebenso wie im eigenen Haushalt und Kühlschrank. Der Verzicht auf Chemie in der Herstellung und eine natürliche Fruchtfolge mit verschiedenen Sorten als Zwischenfrüchte gehörten zu den Standards des Bio-Getreides und Urgetreideanbaus, sagt Aicher. Bei der Vermarktung lege er besonderen Wert auf regionale Vermarktung: "Hier sehe ich meine Zukunft. Der Wert regionaler Produkte ist einfach unersetzlich", sagt der Bauer. Auch im Bio-Betrieb werde immer noch viel zu viel aus der Ferne zugekauft, weil die Nachfrage zunehmend steige und die regionale Produktion nicht nachkomme, fügt er hinzu. Er möchte auch Bauern im Getreidebetrieb zum Umsatteln auf ökologischen Anbau ermutigen. "Wenn nicht jetzt, wann dann?", meint er, "der Natur zuliebe lieber gestern als morgen" und es seien gute Voraussetzungen gegeben, speziell für den Getreideanbau.
Für Wolfgang Aicher habe die Ökomodellregion Waginger See eine besondere Brückenfunktion gespielt, sagt er. Zwei seiner großen Kunden in der Regionalvermarktung gingen auf die Koordination der Öko-Modellregion zwischen Bauern und Abnehmern zurück: die Schlossbrauerei Stein und SOTO aus Bad Endorf, ein Hersteller vegetarischer und veganer Lebensmittel, arbeiten mit dem Kirchweidacher zusammen und bilden die Glieder der Bio-Kette vom Korn bis zum vegetarischen Burgerpatty mit Bier.
"Ich schätze diese faire Zusammenarbeit sehr", sagt der Landwirt und stuft das Miteinander zwischen Bauern und regionalen Abnehmern als "durchaus ausbaufähig" ein. Außerdem liefere er Getreide an regionale Mühlen wie Primavera und Futtergetreide, das heißt Futterebsen und -bohnen, an ortsnahe Bio-Schweinebauern.
Zu den Konzepten, die die Öko-Modellregion gemeinsam mit den Landwirten unterstützen möchte, gehört auch, im Namen von Mensch, Natur und Tier einen Schritt weiterzudenken, als die Mindestanforderung eines Qualitätssiegels es verlangt. Eine Maßnahme sind die Lerchenfenster, die das geschulte Auge in Wolfgang Aichers Feldern erkennen kann. Die Vögel könnten im Getreidefeld ohne diese freie Fläche weder starten noch landen, erklärt der Landwirt. Durch Anheben der Maschine beim Säen lässt Aicher eine Fläche in seinem Feld frei, der Bereich außen herum werde nicht gestriegelt und die Lerchen könnten dort nisten und brüten. "Sehen kann ich sie nicht, aber singen hört man sie manchmal. Es ist eine schöne und inzwischen verbreitete Maßnahme", sagt er. Auch wenn man "mit Idealismus keine Rechnungen bezahlen kann", nimmt Aicher die Ernteeinbuße gern in Kauf und neben der Lerche profitieren auch Rebhuhn, Goldammer und Feldhase von der freien Fläche.
Artikel von Simone Kamhuber aus der Südostbayerischen Rundschau vom Dienstag, den 31. 08. 2021.