Berger-Stöckl sagte, die EU-Kommission habe vor, die bisherigen Regeln zur Prüfung der Eigenschaften gentechnisch veränderter Pflanzen vor einer Freisetzung ins Freiland komplett auszusetzen, ebenso alle damit verbundenen Regeln zu Transparenz und Haftung des Anwenders. Damit gebe es keine notwendige Risikoabschätzung für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen mehr. Sie fürchtet laut ihren Worten bei einer Umsetzung dieses EU-Plans in wenigen Jahren um die Gentechnikfreiheit. Insbesondere treffe das auch für Bayern zu, das Markus Söder persönlich im April 2014 zu einer gentechnikfreien Region erklärt habe. Es sei daher nötig zu verhindern, dass die Wahlfreiheit für den Bürger beim Einkauf für natürlich hergestellte Lebensmittel, die nicht gentechnisch verändert sind, durch Lobbyisten großer Saatgutkonzerne EU-weit abgeschafft würde. Die bisherigen Grundregeln zum Schutz der Verbraucher und der Ökosysteme müssten beibehalten werden.
Ulmer erläuterte die Hintergründe der „Neuen Gentechnik“ und damit verbundene Auswirkungen für Landwirte und Verbraucher. Die „unkontrollierte Einführung der „Neuen Gentechnik“ sei eine fundamentale Abkehr von den bisherigen Regeln, sagte Ulmer. Mit „Neuer Gentechnik“ (NGT) sei der Einsatz der „Genschere“ gemeint, das Crispr/Cas-Verfahren, das für einen Schnitt in die genetische Struktur einer Pflanze und für das Einsetzen neuer Gensequenzen genutzt werden könne, die das Erbgut auf Wunsch der Hersteller verändere.
Sorge, dass Gentechnik außer Kontrolle gerät
Ulmer warnte vor ungeplanten Veränderungen in den Eigenschaften von Pflanzen, die weder kontrollierbar noch vorhersehbar seien, und die genau deswegen vor einer Freisetzung wissenschaftlich untersucht werden müssten - wie bisher auch. Die Kommissionsvorschläge folgten den Forderungen der Agroindustrie und -gentechniklobby, sagte Ulmer. Er könne nicht nachvollziehen, warum das bisher in allen Bereichen geltende Vorsorgeprinzip einfach ausgehebelt werden soll.
Ebenso wie mit der bisherigen Gentechnik seien die Erfolgsversprechen für den Einsatz der „Neuen Gentechnik“ sehr kritisch zu betrachten. Der Einsatz der bisherigen Gentechnik habe weltweit weder die versprochene Reduzierung von Pestiziden noch eine Ertragssteigerung bewirkt. Das zeige sich in Ländern wie Brasilien oder den USA, wo der Pestizideinsatz um das Drei – bis Vierfache anstieg und immer stärkere Gifte zum Einsatz kamen, weil sich Resistenzen dagegen bildeten.
Der Ertrag stagniere ebenfalls, oder sei sogar rückläufig, trotz größerer Aufwendungen wie z.B. mehr Düngemitteln. Die Hoffnungen auf eine schnellere Züchtung von Pflanzen mit höherer Trockenheitsresistenz oder Überschwemmungstoleranz durch Gentechnik hätten sich nicht erfüllt. Herkömmliche Pflanzenzucht führe im Freilandanbau zu besseren Ergebnissen.
Höhere Preise und Abhängigkeiten
Besonders schwierig sei, dass die Bauern wegen eines zu erwartenden sprunghaften Anstiegs bei der Vergabe von Patenten auf gentechnisch veränderte Pflanzen durch höhere Kosten für ihr Saatgut immens belastet würden, aber auch in neue Abhängigkeiten von Saatgutkonzernen gerieten.
Im Frühjahr 2024 stehe in der EU-Kommission die Entscheidung an, sagte Ulmer. Bis dahin müsse von den fast 30 Organisationen, die sich bisher in Bayern und Deutschland zu einem breiten Bündnis zusammengeschlossen haben, alles getan werden, um die Einführung zu verhindern.
In der Diskussion meinte ein Teilnehmer, als erstes müsse die Lebensmittelsicherheit betrachtet werden. Verbraucher müssten das Recht haben zu wissen, wie ihre Lebensmittel erzeugt worden seien. Dr. Josef Heringer, der frühere Leiter der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege, sagte, es solle eine Regelung wie in Neuseeland eingeführt werden, wo es sogar eine eigene Genpolizeiorganisation gebe, die den Einsatz von Agrogentechnik überwacht. Es brauche genügend Widerstand in der Gesellschaft, um die Einführung von Gentechnik zu verhindern. Vor allem die Bauern sollten sich dagegen wehren.
Raphael Röckenwagner vom Maschinenring Traunstein verwies auf die Gefahr neuer Unfreiheiten für die Bauern durch Saatgutpatente und meinte, wir könnten die Freigabe noch verhindern, wenn genügend Leute dagegen aufstehen würden. Hans Glück zeigte sich enttäuscht über die Politik, insbesondere der Grünen auf Bundesebene, von denen er sich mehr Einsatz gegen Dinge wie die NGT erwartet habe. „Wir haben mit den Grünen einen wichtigen vermeintlichen Verbündeten im Kampf gegen die Gentechnik verloren“.
Der frühere Pettinger Bürgermeister Markus Putzhammer meinte, bei den Protesten sollten alle mitgenommen werden, es dürfe nicht nur auf die Gefahren für Ökosysteme, sondern es müsse insbesondere auf die Gefahren für Menschen verwiesen werden. Die Biologin Dr. Ute Künkele sagte, Imker seien besonders betroffen von Gentechnik jeglicher Art, denn gegen Verunreinigungen im Honig über die Sammeltätigkeit der Bienen könne sich niemand wehren. Sie sehe im Fall der drohenden Anwendung von Gentechnik auch ein hohes Risiko für die Auslösung neuer Lebensmittelallergien.
Beate Rutkowski, Kreisvorsitzende des Bund Naturschutz, beteuerte, gegen die Einführung der NGT müssten ähnlich große Anstrengungen unternommen werden wie auch bei der Gentechnik der ersten Generation vor mehr als zehn Jahren. Wenn die Gentechnik erlaubt wird und das in der EU eigentlich verpflichtende Vorsorgeprinzip für die Verbraucher entfällt, sei es nur noch möglich, auf juristischem Klageweg langwierig dagegen vorzugehen.
Abschließend zur Diskussion meinte
Berger-Stöckl: „Die Auswirkungen einer EU-weiten Freigabe von Gentechnik sind
gravierend und nicht mehr rückholbar, wo bleiben die öffentlichen Proteste von
Bauern und Verbrauchern?“
Artikel von Alois Albrecht aus der
Südostbayerischen Rundschau, 21.12.2023