„Ich habe es 20 Jahre mit Herzblut gemacht“, erzählt Ingrid Schrädobler, „die Wertschätzung meiner Kunden hat mich immer gefreut und auch stolz gemacht“. Doch nun sei es Zeit für einen neuen Lebensabschnitt. Ingrid Schrädobler und ihr Mann Josef (66), der seit zwei Jahren in Rente ist, möchten gerne mehr Zeit zum Radlfahren haben, für die Familie da sein – und wenn möglich ans Nordkap und nach Südafrika reisen. Ingrid Schrädobler wurde von ihren Kolleginnen mit einem herzlichen Abschied überrascht.
Gemeinsam mit ihr verlässt Josef Lirsch den Kößlarner Bauernmarkt. Der Landwirt aus Triftern, der schon in Rente ist, hat hier 30 Jahre lang Gemüse, Kraut, Kürbisse, Salat, Kartoffeln und vieles mehr angeboten. Die Familie Lirsch und ihre Helfer bestreiten noch weitere drei Märkte. Seit zwei Jahren wollen sie reduzieren, heuer haben sie schweren Herzens beschlossen, den Kößlarner Markt nicht mehr anzufahren. „Weil er am Nachmittag ist. Das ist im Sommer schlecht fürs Gemüse“, erklärt Josef Lirsch.
Dass zwei der zugkräftigsten Marktstände auf einen Schlag wegbrechen, brachte den kleinen Bauernmarkt ins Wanken. Doch die Betreiber setzten alles in Bewegung, damit es weitergeht. Anja Kahn (30) von Kahns Hofladen, die auf dem Bauernmarkt Brot, Gebäck und einige Kuchen verkauft, bringt sich in die Organisation ein und wird ihr Sortiment ausweiten. Petra Harringer, die aktuell Liköre, Eier, Butter, Joghurt, Käse und Biobrot verkauft, wird ihr Angebot ebenfalls ausbauen. Und wie durch ein Wunder wurde ein neuer Betreiber für den Gemüsestand gefunden.
Sebastian Brunner (27) aus Kößlarn, studierter Informatiker, hat auf Reisen Gefallen am Obst- und Gemüsebau gefunden und heuer selbst damit angefangen. Auch exotische Früchte kultiviert er. Als Ingrid Schrädobler auf einer Geburtstagsfeier zufällig davon erfuhr, klingelte schon am nächsten Tag sein Telefon. Dass der Bauernmarkt dringend einen Nachfolger für Sepp Lirsch suchte, ist für Brunner eine glückliche Fügung. Und Sebastian Brunner ist für den Bauernmarkt „ein Sechser im Lotto", wie Ingrid Schrädobler sagt. Um sein Obst und Gemüse nicht der sommerlichen Hitze auszusetzen, wird Sebastian Brunner Ingrid Schrädoblers Platz im Inneren der Halle übernehmen. Aus dem Kühlschrank, in dem sie bisher ihre Torten aufbewahrte, soll es künftig frische Beeren und Melonen geben.
Als weitere Neuerung ist ein Gemeinschaftsregal geplant, das von verschiedenen regionalen Direktvermarktern bestückt wird. Bürgermeister Willi Lindner, Stammgast und Unterstützer des Marktes, hatte Jenny Mähr, die Managerin der Öko-Modellregion an Rott & Inn, ins Spiel gebracht. Sie stellte Kontakte in die regionale Bio-Landwirtschaft her. Und so werden die Kunden in der nächsten Saison unter anderem auch Produkte von den öko-sozialen Confido-Initiativen bei Bad Griesbach kaufen können.
Mitte März 2025 öffnet der Bauernmarkt wieder seine Türen. Wie gewohnt vor Ort dabei sein werden der Hofladen Steinhuber mit seinem Metzgerwagen, Matthias und Sarah Schwarz (31) von Rottal Hanf, der Katholische Frauenbund Kößlarn mit Handarbeitsware und Helga Endisch mit Eine-Welt-Artikeln und Kaffee für die Mission. Dass man auf dem Bauernmarkt nicht nur einkauft, sondern bei Kaffee und Kuchen noch auf einen Ratsch sitzen bleibt, hat in Kößlarn Tradition. Live-Musik inbegriffen. Eine Rentnerband spielt für die Leute auf. Vom behäbigen „Mia san vom Woid dahaom“ über den beschwingten „Schneewalzer“ bis zum feurigen Tango ist alles dabei. Genauso wie auf dem Bauernmarkt selbst. Neben den Kurgästen und einheimischen Rentnern kehren dort regelmäßig die jungen Fußballer vom TSV Kößlarn auf eine Tasse Kaffee ein. Da mag der Arbeitsalltag im Home Office noch so digital sein: Es geht nichts über eine analoge Mittagspause mit selbstgemachten Kuchen und Musik. „Es ist einfach urig hier“, finden Sebastian Weiß (30), Christian Spermann (26) und Waldemar Horst (32). Das will auch Ingrid Schrädobler nicht missen. In dem neuen Gemeinschaftsregal wird sie weiterhin ihre Marmeladen anbieten. Und öfter mal vorbeikommen will sie auch. Mit dem Radl. Zum Einkaufen und Kaffeetrinken. „Es geht weiter, das ist das Schönste“, sagt sie.