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Eine Schotterwüste ist kein Lebensraum für Biene, Hummel und Co

Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel will Bürger verstärkt über insektenfreundliche Lebensräume informieren

Projekte: Öffentlichkeitsarbeit, Streuobst und Artenschutz
Irmi Rackerseder, stellvertretende Vorsitzende des Kirchanschöringer Obst- und Gartenbauvereins Kirchanschöring vor einem spätsommerlichen Blumenbeet vor ihrem Haus.
Biene, Hummel und Co. fühlen sich wohl in diesem spätsommerlichen Blumenbeet vor dem Haus von Irmi Rackerseder, stellvertretende Vorsitzende des Kirchanschöringer Obst- und Gartenbauvereins Kirchanschöring.
© Anneliese Caruso
Auch die Ökomodellregions-Gemeinden wollen sich engagieren: „Die Bürgermeister aller zehn Mitgliedsgemeinden haben sich in der jüngsten Ökomodellregions-Sitzung für eine verstärkte Aufklärung der Bürger bezüglich Schottergärten ausgesprochen“, informiert Projektleiterin Marlene Berger-Stöckl. „Unsere Gemeinden engagieren sich im aktuell laufenden „ökologischen Pflegekonzept“ auf ihren Flächen verstärkt für den Erhalt der Artenvielfalt, viele Landwirte bringen sich ebenfalls ein.“ Die Gemeinden der Ökomodellregion wünschten sich aber auch von privaten Gartenbesitzern entsprechendes Engagement für vielfältige kleine Lebensräume vor der eigenen Haustür. „Daher bitten wir alle um Unterstützung“. Jeder naturnahe Garten sei ein wichtiger Trittstein im Netzwerk der heimischen Tier- und Pflanzenwelt und bewahre außerdem das traditionelle dörfliche Ortsbild.
Beate Rutkowski ist zuversichtlich: Nach den letzten Flutkatastrophen dürfte allen klar geworden sein, wie wichtig jeder Beitrag zur Wasserversickerung und in trockenen Jahren zur Grundwasserspeicherung ist. Argumente, die gegen Kies- und Schotteranlagen sprechen, sind in einem neuen Faltblatt des Bundes Naturschutz zusammengefasst, das jetzt in den Mitgliedsgemeinden der Ökomodellregion ausliegt. „In Kiesflächen blühen keine Blumen und flattern keine Schmetterlinge, nur wenige Insekten sind zu finden, darum singen hier auch keine Vögel“, sagt Rutkowski. „Kein Igel findet Unterschlupf, keine Frösche, Molche oder Blindschleichen können sich hier aufhalten, nicht einmal Eidechsen finden etwas zum Fressen.“

Darüber hinaus schaden Kiesgärten dem Kleinklima: „Schotterflächen oder aufgestellte Schotter-Gabionen heizen sich im Sommer stark auf und strahlen die Hitze auch nachts an die Hauswände und in die Räume. Dadurch wird es noch trockener, heißer und staubiger in den Wohngebieten.“ Bei Untersuchungen seien Temperaturunterschiede von bis zu 30 Grad zwischen besonnten Kies- und Asphaltflächen und beschatteten Grünflächen gemessen worden. Ein weiteres Problem sieht die Sprecherin des Arbeitskreises „Artenschutz und Streuobst“: „Kiesgärten produzieren keinen Sauerstoff und kühlen nachts nicht die Luft vor dem Fenster.“ Beides trage zu einem erholsamen Schlaf bei.

„In Zeiten extremer Klimaereignisse müssen wir für unsere Gesundheit vorsorgen.“ Man müsse möglichst viele Flächen am Boden, an Hauswänden und auf Dächern, wieder begrünen.

Und Berger-Stöckl ergänzt: „Wir müssen jetzt für Kühlung und für Wasserspeicherung sorgen. Wo Bäume und Sträucher wachsen, wird Wasser bei Starkregen zuverlässig aufgefangen und in den Untergrund geleitet, das bremst die Überschwemmungsgefahr“.

Auch der Kreisfachberater für Gartenbau und Landschaftspflege, Markus Breier, spricht sich gegen Schottergärten aus: „Im Laufe der Zeit sammeln sich zwischen den Steinen Nadeln, Laub oder Zweige und werden zu Humus. Angewehte Pflanzensamen können somit auch in Steinflächen aufgehen.“ Spätestens dann werde dem „Unkraut“ zu Leibe gerückt. Wobei zu beachten sei, dass die Anwendung von Unkrautvernichtern auf derartigen Flächen gesetzlich verboten ist und mit empfindlichen Strafen geahndet wird.

Doch man müsse Kies nicht generell aus dem Garten verbannen, sondern sinnvoll einsetzen: Kieswege im Garten seien nicht störend, wenn man sie nicht mit Chemie unkrautfrei halte und das Wasser ungehindert versickern könne, so Breier. Stein- oder Sandhaufen in einem Garten seien wichtige Biotope für Spinnen, Wildbienen und Eidechsen. „Vögel picken dort gerne kleine Steinchen für ihre Verdauung.“

Solche Steinelemente seien am besten in einen grünen und strukturreichen Garten eingebettet, „nur dann können sie ihre Funktion als Lebensraum voll erfüllen“, rät Markus Breier. „Verschotterte Beete und Flächen dürfen nicht mit „echten“ Stein- und Kiesgärten verwechselt werden. Stein- und Alpingärten sind traditionelle Gartenelemente und beherbergen Gebirgspflanzen in großer Vielfalt.“ In echten Kiesgärten diene der Kies nicht als Abdeckung, vielmehr sei das Substrat/die Erde sehr kiesig, wodurch sich ein Standort für trockenheitsliebende Arten ergebe. Im Grunde sei das die gärtnerische Parallele zu heimischen Trockenrasen und Magerflächen.

Somit seien echte Kiesgärten alles andere als lebensfeindlich oder artenarm. „Die Anlage und Pflege muss aber gut geplant und umgesetzt werden, das ist nicht leicht.“ Zudem müssten solche besonderen Beete in den Garten passen, so Breier, der auch darauf hinweist, dass Interessierte Anregungen zu naturnahen, zeitgemäßen und auch bewährten Pflanzungen bei den 51 örtlichen Obst- und Gartenbauvereinen im Landkreis Traunstein finden. „Gartenleidenschaft verbindet und wir haben landkreisweit hervorragende Beispiele aktueller, artenreicher Gartenkultur.“ Das zeige die Nachfrage nach der Zertifizierung „Naturgarten – Bayern blüht“.

An das Experiment „nachhaltiger Kiesgarten“ wagte sich dann auch die Marktgemeinde Waging am See in diesem Jahr, um Verweilmöglichkeiten mit einem nachhaltig gestalteten Beet zu kombinieren.
„Die Neugestaltung des Platzes gegenüber der Touristinfo wurde unter den oben genannten ökologischen Gesichtspunkten geplant und umgesetzt“, informierte Wagings Bürgermeister Matthias Baderhuber. „Der ganze Platz ist komplett wasserdurchlässig.“ Für die Befestigung sei nichts versiegelt worden. Festigkeit gegeben habe man ihm mittels einer sogenannten wassergebundenen Decke. „Nach ein- bis zwei Jahren werden dann auch die gepflanzten Stauden so angewachsen sein, dass die Beetfläche begrünt ist.“

„Auch wir schließen uns den genannten Argumenten an und sprechen uns gegen Schottergärten aus“, betonen die beiden Vorstandssprecher der Ökomodellregion Waginger See- Rupertiwinkel, Wagings Bürgermeister, Matthias Baderhuber, und Tachings Bürgermeisterin, Stefanie Lang, unisono: „Die Abnahme der Artenvielfalt ist eine stille und schleichende Entwicklung, der wir uns entgegenstellen müssen“.
Dabei seien sowohl die Gemeinden als auch die Bürger, Grundstücksbesitzer und die Landwirte gefordert. „Deshalb arbeiten wir in der Ökomodellregion mit unseren Bauhöfen an dem neuen ökologischen Pflegekonzept“. In die Ausarbeitung und Ergebnisse sollen die Bürger bei öffentlichen Begehungen im Herbst mit eingebunden werden.

Eine Vorreiterrolle nimmt hierbei die Stadt Tittmoning ein. „Wir informieren unsere Bürger zu den Nachteilen von sogenannten Schottergärten über eine aktive, aufsuchende Beratung, bei der wir Alternativen aufzeigen“, schließt sich Bürgermeister Andreas Bratzdrum an. „Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht.“

Bürger, die ihren Schottergarten wieder naturnäher umwandeln möchten, können sich gern an Kreisfachberater Markus Breier oder an Beate Rutkowski für eine kostenfreie Beratung wenden.

Artikel von Anneliese Caruso aus dem Traunsteiner Tagblatt vom 08.09.2021
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