Der studierte Tiermediziner ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Direktor des unabhängigen Instituts Testbiotech e.V. für die Folgenabschätzung im Bereich Gentechnik. Die gemeinnützige Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Perspektive des Schutzes von Gesundheit, Umwelt und Natur zu bewerten, über Risiken aufzuklären und kritische Akzente zu setzen.
Eben jene kritischen und nachdenklichen Töne schlug der Experte an diesem Abend an und dem Publikum wurde im Laufe des Vortrags trotz der Komplexität des Themas eindrücklich klar, wie dringlich die Auseinandersetzung mit der Neuen Gentechnik ist. Für den Einzelnen aber vor allem auf großer politischer Bühne.
Neue Gentechnik – neue Möglichkeiten
Groß sei der Aufschrei damals gewesen als Gentechnik erstmals diskutiert wurde. Dass man heute, Jahrzehnte weiter, mit der Neuen Gentechnik vor ganz neuen Möglichkeiten und Herausforderungen stehe, werde von der Gesellschaft aus Mangel an Informationen verschlafen. Mit der Neuen Gentechnik, (NGT) genauer genommen, der Neuen Genschere CRISPR/Cas, die laut Then zurecht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, sei ein tiefgreifender Eingriff in die Evolution möglich. Disruptive Zeiten stünden bevor oder hätten schon begonnen: Der Wandel schreitet schneller voran als die Anpassungsmöglichkeiten. Die Neue Genschere ist dabei ein mächtiges Werkzeug mit weitreichenden Möglichkeiten, die weit über das hinausgehen, was bei der ‚alten‘ Gentechnik befürchtet wurde. Begrenzungen, die früher gegolten hätten, gelten für die Neue Gentechnik nicht mehr.
Die ‚normale‘ Evolution beruht auf der Veränderung der Arten als Anpassungsleistung an die Umwelt, erklärt Then. D.h. Veränderungen geschehen nicht zufällig, sondern sind immer eine Reaktion auf bestehende Verhältnisse und somit eine Interaktion mit dem Ökosystem. Mit der Neuen Genschere können Mutationen gezielter und präziser hergestellt und so auf jede erdenkliche Art und Weise in die Genregulation eingegriffen werden.
Willkommen im Absurditätenkabinett der Genmanipulation
Was skurril im Labor daherkommt, wie die GABA-Tomate, die Kuh ohne Hörner, der als prähistorisch und wieder zum Leben erweckt präsentierte Wolf mit langem Fell, der Fisch ohne Gräten oder nahezu glutenfreier Weizen, wäre im Falle des Freisetzens in das Ökosystem in seinen Interaktionen nur schwer abzuschätzen und eine Gefahr für bestehende Ökosysteme und etablierte Arten. Denn was da so lustig anmutet, ist „was für Halloween“, so der Experte zynisch. Er wisse nicht, wovor er sich mehr grusele: vor der Willkür politischer Entscheidungen im Zusammenhang mit der Neuen Gentechnik oder vor der Genschere.
Uneingeschränkter Fortschritt = Macht?
Doch es geht schon längst nicht mehr um einzelne Züchtungen, sondern vielmehr um die Technologie dahinter, um die Macht der Möglichkeiten, und darum, dabei der Erste zu sein. Um Patente im nationalen aber vor allem im internationalen Wettbewerb. Denn Erfolg bedeute eine Neuaufteilung der Märkte und die Technologiehoheit. Restriktionen scheinen da eher hinderlich. Das Ziel: Markteinführungen ohne Risikoprüfungen, um im Wettbewerb um Macht und Monopol vorne zu sein. KI ist hier ein mächtiger Gehilfe. Dürrenmatts Roman ‚Die Physiker‘ vielleicht aktueller denn je?
Amerika habe Angst, dass China das Rennen macht. Und Europa? Diskutiert. „Ziel ist, das Lebensmittelsystem sowohl nachhaltiger als auch krisenfest zu machen, indem man verbesserte Pflanzensorten entwickelt, denen bestimmte klimatische Einwirkungen bzw. Schädlinge nichts anhaben können. Auch sollen diese Pflanzensorten mitunter höhere Erträge liefern und weniger Düngemittel und Pestizide benötigen“1. Dazu sollen Lockerungen in der EU-Gesetzeslage eingeführt werden. Das klingt verlockend. Letztendlich geht es auch hier um wirtschaftliche Vorteile und Wettbewerbsfähigkeit. Die Risiken? Vernachlässigt.
„Die Hürden für Forscher und Pflanzenzüchter durch das bisher geltende EU-Gentechnikrecht sind sehr hoch und bremsen z.B. Freilandversuche stark aus. Künftig sollen die Hürden deutlich niedriger werden - vor allem für NGT-Pflanzen der Kategorie 1, die so auch natürlich oder durch konventionelle Züchtung hätten erzeugt werden können, also keine artfremden Gene enthalten. Darunter fallen Pflanzen mit bis zu 20 veränderten DNA-Bausteinen.“2 Für Then eine willkürlich festgesetzte Zahl. Bei ihnen würde auch das Vorsorgeprinzip mit aufwendiger Risikoprüfung entfallen.2 Für Then und Kritiker der Gesetzeslockerungen ein Szenario wie aus einem Horrorfilm. Einmal im Ökosystem freigesetzt, kann die Pflanze nicht mehr zurückgeholt werden, wenn etwas schief geht. Immerhin: Patente sieht auch die EU-Politik kritisch.
Was tun?
Die Neue Gentechnik ist da. Es bringt nichts, die Augen davor zu verschließen. Es bleibt zu diskutieren, wie damit umgegangen wird. Then und Testbiotech e.V. fordern daher die Einführung von Minimalstandards, die für die EU-Gentechnikregulierung unverzichtbar gelten müssen:
- Jeder Organismus muss auf beabsichtigte und unbeabsichtigte Veränderungen untersucht werden.
- Freisetzungen müssen räumlich und zeitlich kontrollierbar sein.
- Transparenz, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung müssen durch die gesamte Produktions-kette gewährleistet werden.
- Patente müssen auf gentechnische Verfahren beschränkt werden.
Es sei unabdingbar, wirtschaftliche Interessen und Motive kritisch zu hinterfragen und Informationen für die Bevölkerung zugänglich zu machen. Damit verbunden ist ein zweiter wichtiger Punkt: Die Diskussion um die Kennzeichnungspflicht – auch für importierte Produkte. Nach dem aktuellen Gesetzesentwurf wäre bei NGT-Pflanzen der Kategorie 1 nur das genveränderte Saatgut kennzeichnungspflichtig. Nicht aber die daraus resultierende Pflanze als Futter- oder Lebensmittel. Der Verbraucher könnte dann nicht mehr frei entscheiden. Noch sind keine Produkte der Neuen Gentechnik auf dem EU-Markt erlaubt. Eine Frage der Zeit?
„Verbraucher wollen keine Gentechnik auf dem Teller“, pflichtet Barbara Steiner-Hainz, Pressesprecherin der Molkerei Berchtesgadener Land, aus Publikum bei. Die Molkerei stehe seit Jahren für Gentechnik-freie Produkte. Mit ihren Worten startet die angeregte Diskussion im Anschluss an den Vortrag. Das Publikum ist interessiert und informiert. Viele Stimmen aus der Landwirtschaft kommen zu Wort, die die Verantwortung vor allem bei den Politikern sehen. Die Bauern hätten keine Kraft mehr. Es wird an die Aufstände im Zuge der ersten Gentechnikwelle erinnert und die Errungenschaften durch die Proteste der Bauern. Jetzt seien die Politiker dran, etwas zu erreichen.
Das Fazit des Abends fällt kritisch aus
Die Neue Gentechnik scheint unaufhaltbar. Zu groß ist der Reiz und der erhoffte Wettbewerbsvorteil. Die wichtigste Frage bleibt, wie es gelingen kann, Minimalstandards für die Regularien auf EU-Ebene angesichts der mächtigen wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen.
Wer steht in der Verantwortung? Die Verbraucher, die Landwirte, die Forschung, die Politik? Bei der Veranstaltung am 31.10.2025 erschienen – abgesehen von den anwesenden Bürgermeistern des Achentals - weder die geladenen Politiker noch die Pressevertreter. Schauen (wir) alle weg? Fakt ist, sich die Verantwortung hin und her zu schieben bis hin zur völligen Verantwortungsdiffusion, erschwert eine Lösungsfindung angesichts der tickenden Zeitbombe, die da kommen wird. „Es ist 5 vor 12“ – wann handeln wir entsprechend?
Quellen:
1https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20240202IPR17320/neue-genomische-techniken-parlament-befurwortet-regeln-fur-mehr-nachhaltigkeit
2 https://www.br.de/nachrichten/bayern/eu-gentechniknovelle-gespannter-blick-nach-bruessel,TxAbmoz
Pressemitteilung der ÖMR Waginger See - Rupertiwinkel und Ökomodell Achental von Katharina Bellerich