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Vom Erzeuger direkt in die Küchen?

Naturland Nachrichten vom 6. Dezember 2020

Projekte: Bio im Gasthaus und in der Außer-Haus-Küche, Bio-Lebensmittel vom Grünland, Öffentlichkeitsarbeit
Naturland-Landwirt Hans Koch (rechts) mit Monika Maria Seidenfuß-Bauernschmid und Steffen Mezger vom biozertifizierten WellnessNaturResort Gut Edermann in Teisendorf.
Naturland-Landwirt Hans Koch (rechts) mit Monika Maria Seidenfuß-Bauernschmid und Steffen Mezger vom biozertifizierten WellnessNaturResort Gut Edermann in Teisendorf.
© Gut Edermann
Die meisten Betriebe beziehen ihre Öko-Lebensmittel von direkt vermarktenden Landwirten aus der unmittelbaren Umgebung und von Lebensmittelhandwerkern wie Bäckern und Metzgern. Daneben spielen klassische Öko-Großhändler, Öko-Abokisten-Betriebe und zunehmend auch konventionelle Frische-Spezialisten (z. B. Gemüsehändler) und konventionelle Grossisten (z. B. Chefs Culinar, Transgourmet und Service-Bund) eine wichtige Rolle. Ähnlich wie im Lebensmitteleinzelhandel kann sich heute einerseits kaum ein Lieferant erlauben, kein Öko liefern zu können. Andererseits gibt es bis heute lediglich eine Handvoll Lieferanten (z.B. EPOS und Chiemgauer Naturkost im Süden und NABUKO im Norden), die sich voll und ganz auf Gemeinschaftsverpflegung und Gastronomie konzentrieren. Beide Unternehmen sind durch die Corona-Pandemie jetzt natürlich stark belastet.

Welche und wie viele Lieferpartner für eine professionelle Küche in Frage kommen und ob die direkte Zusammenarbeit mit einem landwirtschaftlichen Betrieb praktikabel ist, hängt vor allem von Segment, Betreiberstruktur, Betriebsgröße, Öko-Konzept und nicht zuletzt der Einkaufsphilosophie der Küchenleitung ab.

Dazu ein paar weniger Beispiele: Kita- und Schulcaterer, die ausschließlich oder fast ausschließlich Öko-Lebensmittel einsetzen, wie Wackelpeter in Hamburg, VitaminReich in Velbert, Safran in Gießen, Il Cielo in München oder Greens Unlimited in Berlin produzieren (vor Corona) einige Tausend Öko-Essen täglich und greifen dafür auf viele Lieferanten zurück – einige davon direkt vermarktende Spezialisten für Kartoffeln, Eier und Fleisch. Völlig anders agieren Großküchen, die aus Ausschreibungsgründen Öko-Lebensmittel einsetzen (müssen) und einen möglichst einfachen Weg gehen wollen. Und der heißt nicht selten Einkauf beim konventionellen Grossisten, der sowieso liefert und auch selbst Erfahrungen mit Ausschreibungen und Vergabeverfahren hat. Aber auch bei einem konventionellen Grossisten lässt sich ein großer Öko-Anteil einkaufen. Ein gutes Beispiel dafür ist die erfolgreiche und stark expandierende Hotelkette Motel One, deren deutschlandweit standardisiertes Frühstücksangebot überwiegend aus Öko-Lebensmitteln besteht und komplett von einem deutschlandweit agierenden konventionellen Grossisten beliefert wird. Motel One ist wahrscheinlich deutschlandweit das gastronomische Unternehmen mit dem höchsten Öko-Einkaufswert überhaupt.

Kartoffeln, Frischgemüse und -obst kaufen Profiküchen vor allem von Öko-Direktvermarktern, Öko-Großhändlern und konventionellen Frische-Grossisten. Brot und Backwaren sowie Frischfleisch werden entweder von regionalen Öko-Bäckereien und Öko-Metzgereien gekauft oder als TK-Ware (z. B. TK-Teiglinge) direkt vom Hersteller oder vom Großhandel bezogen. Eine Küche mit breitem Öko-Sortiment und hohem Öko-Anteil wird an einem Öko-Großhändler nicht vorbeikommen, es sei denn, die Küche konzentriert sich auf bestimmte Produktgruppen in Öko-Qualität (z. B. Eier, Molkereiprodukte oder Rindfleisch), die dann vom Erzeuger direkt oder von einer Erzeugergemeinschaft bezogen werden.

Die größte Herausforderung für eine Küche ist der direkte Einkauf beim Landwirt, denn Sortiment und logistische Möglichkeiten sind in der Regel eingeschränkt oder passen möglicherweise nicht zueinander. Die tägliche Anlieferung von zwei Kisten Salat hat wirtschaftlich und ökologisch jedenfalls wenig Sinn. Für einzelne Produktgruppen, die Küchen besonders gerne in Öko-Qualität beziehen (z. B. Eier, Milchprodukte, Kartoffeln, Fleisch), kommt diese Belieferungsform aber immer mehr in Frage. Vor allem auch deshalb, weil sich die direkte Zusammenarbeit mit einem regionalen Öko-Landwirt gegenüber den Gästen sehr gut kommunizieren lässt. Das in dieser Ausgabe beschriebene Beispiel der Zusammenarbeit von Stautenhof und der Betriebsgastronomie von Esprit ist ein sehr gutes Beispiel dafür (*ein weiteres Beispiel, aus Bayern, ist die Zusammenarbeit zwischen Biodirektvermarktern wie z.B. Hans Koch aus Teisendorf und biozertifizierten Einrichtungen wie dem Gut Edermann in Teisendorf, siehe Bild). Weitere sind die LWL-Klinik in Münster, die seit vielen Jahren Frischeier ausschließlich bei einem Öko-Landwirt direkt einkauft und das auch entsprechend kommuniziert sowie die Belieferung von Kindertageseinrichtungen in Bielefeld mit Öko-Milch von einem Öko-Milchviehbetrieb in der Nähe.

Einen Schritt weiter gehen die Betriebskantinen von HDI in Köln, der Versicherungskammer Bayern in München und Linde in Pullach, von WMF in Geislingen und dem Restaurant Rose. Alle genannten Betriebe setzen seit vielen Jahren (HDI seit 1998) auf die Ganztierverwertung – insbesondere bei Rindfleisch. Mit anderen Worten: Die Tiere werden direkt beim Landwirt (oder der Erzeuger-gemeinschaft) ausgesucht und bestellt, anschließend geschlachtet, küchengerecht zerlegt und von der Küche so in das Speisenangebot eingebaut, wie es für die Teilstücke am besten passt (Hack zuerst, Roastbeef als Sonderessen später). In allen genannten Betrieben sind Innereien kein Problem – auch dafür gibt es bei den Gästen Liebhaber. Der Vorteil der Ganztierverwertung liegt auf der Hand: Der Preis pro Gewicht ist deutlich geringer als beim Einkauf von Teilstücken und bei kluger Angebotsstruktur und Kommunikation wird der Gast auch keinen Preisvergleich anstellen. Selbstverständlich braucht ein solches Konzept eine gewisse Größe der Küche und entsprechende gastronomisch-handwerkliche Fähigkeiten des Küchenteams. Die Corona-Krise mit teilweise deutlich geringeren Essenszahlen lässt manche Küche diesbezüglich umdenken.

Ein interessantes Modell ist auch die Zusammenarbeit eines konventionellen Metzgers mit einer Öko-Erzeugergemeinschaft. Die Rhein-Mosel-Fachklinik in Andernach (Rheinland-Pfalz) wollte im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie verstärkt Öko-Lebensmittel und Fleisch aus artgerechter Tierhaltung einsetzen, gleichzeitig aber die langjährige Zusammenarbeit mit dem lokalen Metzger nicht aufgeben. Im Ergebnis wurde daraus eine gut funktionierende Zusammenarbeit mit der Erzeugergemeinschaft Biofleisch NRW, dem regionalen Metzger und der Klinikküche. Wichtig für die Krankenhausleitung: Die Wertschöpfung bleibt in der Region.
Grundsätzlich müssen sich Landwirt und Küche immer fragen, ob eine direkte Zusammenarbeit sinnvoll ist und wo eine Wertschöpfungsstufe dazwischen (Verarbeiter oder Händler) besser wäre. Naturkostgroßhandel und konventioneller Großhandel werden von ihren gastronomischen Kunden immer häufiger zu mehr Herkunftstransparenz aufgefordert. Ein Öko-Verband wie Naturland und seine Erzeugergemeinschaften haben hier eine wichtige kommunikative Schnittstellenfunktion, die genutzt werden sollte.

Autor: Rainer Roehl
Rainer Roehl ist Ernährungswissenschaftler, Unternehmer, Lehrbeauftragter der FH Münster für das
Fach „Nachhaltige Verpflegungsdienstleistungen“, über 30 Jahren im Außer-Haus-Markt tätig und Mitglied der Naturland Anerkennungskommission. Rainer Roehl, a'verdis
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