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Kühe und Menschen (und Klima)

Projekte: Mit Bio kochen, Bio-Lebensmittel vom Grünland, Öffentlichkeitsarbeit
Vortragender Ulrich Mück in Aktion.
So sieht das dann in Bayern aus. Foto: Amira Zaghdoudi
© Amira Zaghdoudi
Agraringenieur Ulrich Mück ist seit über 30 Jahren Grünland-Berater bei Demeter Bayern und arbeitet freiberuflich in Forschungsprojekten. In Fachmedien hat er in den letzten Jahren vor allem zu horntragenden Kühen im Laufstall und zu Ernährungsökologie publiziert. Zuletzt auch zur Ehrenrettung und unverzichtbaren Bedeutung der Rinderhaltung für menschliche Ernährung, Biodiversität und Klima. Also für den Sinn der Rindvieh-Haltung im Grünland gemäß gesellschaftlich sehr wichtiger Wertebereiche. Unter den Rinderhaltern wird das bei seinen Vorträgen mit Freude und Erleichterung aufgenommen, wie auch bei einem Vortrag Ende Mai 2022 in Südbayern, von dem hier berichtet wird, denn den Druck der gesellschaftlichen Zuweisung „Klimakiller Kuh“ spüren diese schmerzlich.
Methan, Humus und Fleisch

Mück meint, dass der menschengemachte Treibhauseffekt an der Zahl der bayerischen Kühe nicht liegen könne, denn in Bayern habe es vor 150 Jahren 22% mehr Kühe gegeben als heute (ähnliche Argumente hört man auch in der Schweiz). Sowieso dürfe die Methanausatmung der hiesigen Bovinen nicht den menschengemachten Klimafaktoren zugerechnet werden, denn die Rinder hätten über 25 Millionen Jahre weltweit zum Humusaufbau im Dauergrünland beigetragen. Doch in Deutschland zum Beispiel seien seit 1960 rund 30% aller Grünlandflächen, also etwa zwei Millionen Hektare Grünland, zu Äckern gemacht worden, was enorme CO2-Emissionen zur Folge hat.

Mück fragte, wie der Biolandbau bei zwar starker Milchnachfrage, aber ohne entsprechende Rindfleischnachfrage zukunftsfähig bleiben solle. Er hat für 3 Betriebstypen und 3 Mastverfahren gerechnet und für hiesige Verhältnisse herausgefunden, dass für jeden Liter verzehrte Öko-Milch auch rund 25 Gramm Rindfleisch gegessen werden müssen, damit Kälber auf Öko-Betrieben bleiben und artgerecht aufgezogen und gemästet werden können. Dieser Koppelwert sei am kleinsten bei Betrieben mit höchster Milchleistung, Eimertränke, Besamung und nur 8 Monaten Kälbermast (ca. 18 Gramm/Liter) und am größten bei Betrieben mit mittlerer Milchleistung, Stier, kuhgebundener Kälberaufzucht und Haltung über 15 Monate: 31 Gramm Fleisch pro Liter Milch. Also besonders die tierfreundlicheren und ökologischeren Rinderhaltungsformen sind darauf angewiesen, dass auch das Rindfleisch gegessen wird und besonders die Kälber zu angemessenen Preisen verkauft werden können.

Für die Fähigkeit der Rinder, Grünland in Fleisch zu verwandeln, hat er berechnet: „Es müssen mindestens 500 Gramm Rindfleisch jährlich verzehrt werden, um 100 Quadratmeter ökologische Almwirtschaft am Berg und im Tal zu erhalten, also 50 kg Fleisch pro Hektar. Selbstverständlich braucht es einen angemessenen Preis dafür.“ Doch zurzeit seien Mastkälber „fast wertlos“ und gingen mehrheitlich in den internationalen Viehhandel, anstatt wertvolles Fleisch in die Region zu bringen. Nachhaltige regionale Ernährung brauche aber Rindfleisch und Milch aus weitgehend hofeigenem Futter.

Die „lebensbezogenen Zusammenhänge“ der regionalen Rinderhaltung mit Milch, Kalb, Kuh und Masttieren sowie die Bedeutung des Ökogrünlands und der Rinder für die Böden, die Lebensvielfalt und das Klima müssten den Essenden wieder klargemacht werden. „Die Erhaltung von biodiversem Grünland braucht Menschen, die Rindfleisch essen!“ Aber in Deutschland zum Beispiel habe sich der Rindfleischkonsum seit 1960 zugunsten von Geflügel- und Schweinefleisch fast halbiert und macht jetzt nur noch 15% aller Fleischgerichte aus ‒ es kommen viel zu hohe rund 83% von Schwein und Geflügel. Dabei sei die Rinderhaltung für den gesamten Ökolandbau systemisch unverzichtbar, denn 57% der ökologisch bewirtschafteten Flächen in D sind Grünland, dazu kommt das Kleegras des Ackerbaus, zusammen 65%.

Mück stellte die Frage: „Wie müssten sich die Menschen Europas ernähren, damit 100 % Ökolandbau möglich ist?“ Die Antwort sei gemäß Studien: 70% weniger Geflügelfleisch, 50% weniger Eier, 60% weniger Schweinefleisch, 30% weniger Milch – aber gleich viel Rindfleisch (Ziegen- und Schaffleisch) aus Bio-Haltung. „Fleischreduzierung ist also notwendig, aber nur beim Hühner- und Schweinefleischverbrauch.“ Denn von Grünland lebende Rinder sind keine Nahrungskonkurrenten des Menschen. Entgegen landläufiger Annahmen haben Rinder „die höchste Lebensmittel-Konversions-Effizienz“ aller Nutztiere: Bei nur 10% lebensmitteltauglichem Futteranteil verwandeln sie, was sie fressen, gemäß einer wissenschaftlichen Studie für den Alpenraum „3,5-mal (Energie) bzw. 4,2-mal (Eiweiß) besser als Masthühner oder Schweine in das Lebensmittel Fleisch“.

Humusaufbau ist nach Mück eine typische Eigenschaft von Weideland. Das Ackerland lebt oft über den Dünger der Weidetiere vom Nährstofftransfer aus dem Grünland mit. Stallmist und Kleegras zusammen können auch im Acker Humus wieder aufbauen. Rinder seien „Leittiere des Humusaufbaus, Leittiere des Erosionsschutzes und Leittiere der Biodiversität“.

Lebensvielfalt durch Rinder

Deutlich sei: „Ohne Grünland und Pflanzenfresser keine Biodiversität; und die Weidetiere bringen Biodiversität ins Grünland, dabei spielt der Kuhfladen eine große Rolle“. Gemäss einer kanadischen Studie würden bei uns 267 Insektenarten allein vom Kuhfladen leben, darunter sehr viele Käfer, von diesen wiederum viele Vögel und Fledermäuse. Alles, was die Kuh auf der Weide tue, wirke in Richtung Vielfalt der ökologischen Nischen und ihrer Bewohner. Dabei „können Tierhalter Weidetiere durch gezieltes Weidemanagement lebensraumgestaltend einsetzen“. Ideal seien auch fließende Übergänge zwischen extensiver Beweidung und Naturschutzbereichen. Selbst die kleinen Zerstörungen durch Tritte gehörten dazu, damit an den geöffneten Bodenstellen die darauf spezialisierten Pflanzen keimen können.

Reaktionen der Bäuerinnen

Die Veranstalterin Marlene Berger Stöckl von der bayrischen Ökomodellregion, die zusammen mit dem Bauernverband eingeladen hatte (siehe Kasten), fasste die Wirkung der Veranstaltung auf die Zuhörerschaft so zusammen: „Von den ca. 120 Teilnehmern war der größte Teil aus der Landwirtschaft, maximal ein Viertel waren nicht-landwirtschaftliche Zuhörer. Die Diskussionen nach dem ausführlichen Vortrag sind nicht besonders kontrovers verlaufen – der grösste Teil der Wortmeldungen bestand in begeisterter Unterstützung für die Thesen von Ulrich Mück bzw. aus konkreten Nachfragen dazu. … Wenn ich mir aber die Ernährungsweise anschaue, wie sie in „Schrot und Korn“ und weiteren führenden deutschen Biozeitschriften seit Jahren immer einseitiger publiziert wird, dann macht mich das inzwischen traurig. Es wird zwar theoretisch viel über regional geschrieben, aber die Rezepte enthalten dann von Kichererbsenhummus über Granatapfelsirup bis Avocadoaufstrich und Mandeldrink lauter nicht-heimische internationale Zutaten vom Acker.“

Bäuerin Kerstin Mayer, die ihre Mutterkuhhaltung derzeit auf bio umstellt, sagte: „Der Vortrag hat mir als Bäuerin sehr den Rücken gestärkt. Wir müssen dieses Thema viel stärker zur Aufklärung in die Schulen bringen“. Ein Metzger beklagte: „Ich bin als Metzger seit 30 Jahren nah am Kunden, der einkauft. Was heute bei uns zählt, ist nicht mehr die Qualität – es geht bei den allermeisten Kunden nur noch um den Preis. Da müssen wir uns über Fehlentwicklungen und mangelnde Wertschätzung für Weiderindfleisch nicht wundern.“

In der Diskussion ging es dann viel um eine angemessene Vermarktung, aber auch ums Kochen: „Die Landfrauen bieten eine Reihe von Programmen für Schulen an. Junge Leute müssen wieder mehr das Kochen lernen und über die Vorgänge auf dem Bauernhof besser Bescheid wissen. Da ist sehr viel traditionelles Wissen verloren gegangen. Alle, auch Zeitschriftenredakteure, müssen wieder richtig kochen lernen mit dem, was ihre Region hergibt.“

„Die Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel im Südosten von Bayern besteht seit 2014 als erste bayerische Ökomodellregion. Hauptziel des Projektes ist es, den Anteil am Ökolandbau in Bayern bis 2030 auf 30% zu erhöhen und mehr heimische Bioprodukte zu erzeugen, zu verarbeiten und zu vermarkten. Dafür wird an mehr guten Vermarktungswegen gearbeitet und die Erzeugerpreise sollen auch besser werden. Kooperationen mit benachbarten Verarbeitern (Molkerei, Brauerei, Müslifirma und anderen) tragen dazu bei. Auch der Tourismus entdeckt Bio und Nachhaltigkeit zunehmend als Thema für die Gäste. Mehr Informationen unter www.oekomodellregionen.bayern, dort Region Waginger See-Rupertiwinkel.“

Dieser Artikel wurde von Nikola Patzel anhand der Präsentation des Referenten und dem Bericht einer Teilnehmerin zusammengestellt, ergänzt mit Aussagen aus Artikeln von Ulrich Mück: „Milch und Fleisch in den Einkaufskorb!“ sowie „Biodiversität, Grünland, Rindfleisch“, die in der Zeitschrift „Ökologie und Landbau“ 1-21 und 1-22 erschienen sind. Kontakt: ulrich.mueck@organismus.farm

Zeitschrift „Kultur und Politik“, Bioforum Schweiz Ausgabe 2 / 2022, Autor Nikola Patzel
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