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Gemüsebau als Mitmach-Projekt

Verbraucher unterstützen Gärtnerei durch Abnahmegarantien – Über 50 Gemüsesorten werden bei Tettenberg angebaut

Projekte: Bio-Lebensmittel vom Acker, Mit Bio kochen, Öffentlichkeitsarbeit
Solawi Brotzeit
Solawi Brotzeit
© Kristine Rühl
Bei einem Besuch auf der L-förmigen Gemüseanbau-Fläche zeigt sich, dass die vor wenigen Wochen noch leeren Felder bereits teilweise von allerlei Pflanzen bedeckt sind – gefördert durch die nach wochenlanger Trockenheit jetzt doch endlich eingetroffenen Regenfälle. Es sind vor allem verschiedene Salatsorten und Radieschen und einige Kräuter, die inzwischen bereits geerntet werden können. Und so wird am übernächsten Freitag erstmals schon Gemüse an die festen Abnehmer verteilt. Die beiden Verteilungsstellen sind im ehemaligen Rossstall am Ottinger Pfarrhof und an der Zentrale des Kreisbildungswerks im Campus St. Michael an der Kardinal-Faulhaber-Straße in Traunstein.

Das ist das Konzept dieses biodynamischen Gemüsebau-Projekts: Interessierte Verbraucher unterstützen die Gärtnerei durch feste Abnahmegarantien und ermöglichen dieser somit eine nachhaltige, von Marktzwängen weitgehend befreite Bewirtschaftung der Flächen. So wird dieser Personenkreis vom Konsumenten zum Unterstützer und sichert sich selbst langfristig hochwertige Lebensmittel. Bisher sind es rund 20 Haushalte, die sich per Jahresvertrag zu einer monatlichen Zahlung und damit zur wöchentlichen Abnahme einer gewissen Menge der jahreszeitlich anfallenden Gemüsesorten verpflichtet haben und diese jeden Freitag an einer der beiden Ausgabestellen abholen.
Kostenloses Acker-Frühstück erstmals kommenden Samstag
Zwar wird hier in Tettenberg schon im vierten Jahr angebaut, aber erst heuer steigt Kristine Rühl, eine ehemalige Werbegraphikerin, voll ein. Und da dieses Verteiler-Projekt somit gerade in seinen Anfängen steckt, ist es für interessierte Abnehmer noch das ganze Jahr über möglich, sich einzuklinken: Kontakt entweder über die Internetseite
www.solawi-chiemgau.de, über E-Mail info@solawi-chiemgau.de beziehungsweise über Telefon 08662/409505 oder 0170/2941196.

Wer sich über das Projekt näher informieren will, hat zudem weitere Gelegenheiten dazu: entweder beim Festival der Utopie am 9./10. Juni in Traunstein, beim 3. Biosphärentag der Biosphärenregion Berchtesgadener Land am 1. Juli am Abtsdorfer See, beim Regionaltag am 8. Juli am Landratsamt Traunstein oder – und das ist ganz neu – bei einem kostenlosen

„Acker-Frühstück“ auf der Anbaufläche bei Tettenberg, erstmals am kommenden Samstag, 26. Mai, um 11.30 Uhr.
Dazu ist Anmeldung erwünscht, da die Teilnehmerzahl beschränkt ist.

Wie kommt eine Werbegraphikerin dazu, solch einen Gartenbaubetrieb aufzubauen?
Rühl erzählt, dass sie vor etwa sieben Jahren im Demeter-Journal einen Bericht gelesen hat, in dem beschrieben wurde, wie wertvoll und wichtig landwirtschaftliche Tätigkeit ist.

Dieser Artikel hat offenbar großen Eindruck auf sie gemacht. „So etwas Wertvolles würd‘ ich auch gerne machen“, war ihr damals durch den Kopf gegangen. Und tatsächlich begann sie, sich dieser Idee nach und nach anzunähern. Zunächst theoretisch, indem sie viel darüber gelesen, und dann auch praktisch, als sie mehr und mehr bei sich zu Hause in Siegsdorf ausprobiert hat. Viel Erfahrung sammelte sie nicht zuletzt bei einem fünfmonatigen Aufenthalt in Portugal auf einem Betrieb, der Jungpflanzen selbst aufzieht und diese im Freiland mit Permakultur-Ansätzen kultiviert.

Vor fünf Jahren wagte sie schließlich den Sprung ins seinerzeit noch recht „kalte Wasser“: Sie kaufte das 1,3 Hektar große Grundstück bei Tettenberg und begann mit einigen Helfern mit dem Gemüseanbau, zunächst noch in relativ kleinem Stil. Und für ihre Produkte fand sie ausreichend Abnehmer: in Bioläden und auch in der Gastronomie.

Dieses Frühjahr aber war dann der Start in die doch recht umfangreiche Produktion mit über 50 verschiedenen Gemüsesorten und auch etwas Obst. Für alle Fälle ist inzwischen auch eine Wasserleitung an das Grundstück verlegt worden: Gerade in den vergangenen Wochen war dies sehr günstig, brauchten doch manche Pflanzen etwas Feuchtigkeit – auch wenn der Großteil auch so ganz gut zurechtgekommen sei, wie Kristine Rühl zufrieden erzählt. Sie selbst ist jetzt jeden Tag auf der Fläche, Mitakteurin Karoline Widur, die „nebenher“ als Coach arbeitet, ist zwei Tage fest auf der „Plantage“ tätig, und dazu kommen weitere freiwillige Helfer, die Spaß an der Arbeit haben. Wenn jemand Interesse hat, zeitweise mitzuwerkeln, kann er oder sie sich gern an die Gärtnerin wenden.
Gemüse, Obst, Beeren, Kräuter und Tee im Anbau
Vor allem Gemüse und Salate werden in Tettenberg in großer Vielfalt angebaut. Kartoffeln aus eigenem Anbau gibt es dagegen nur sehr begrenzt, da die Fläche für die benötigte Menge zu klein ist. Bereits vorhanden sind etwa 20 noch junge Obstbäume, vor allem Äpfel, aber auch Birnen und Sauerkirsche. Die Auswahl an Obst und auch an Beeren wird im Laufe der nächsten Jahre noch zunehmen. Johannisbeeren allerdings sind bereits reichlich vorhanden, da sie schon vor einigen Jahren gepflanzt wurden. Auch Kräuter und Teepflanzen werden angebaut. Demnächst werden noch zwei Gewächshäuser aufgebaut, die zunächst hauptsächlich für Tomaten gedacht sind, in denen dann aber in der kalten Jahreszeit die winterharten Salate und Gemüsesorten angebaut werden sollen. Was aktuell in den kommenden Wochen vor allem geerntet werden kann, sind Salate, Radieschen, Kohlrabi und Fenchel.

Was beim Gespräch mit Kristine Rühl und Karoline Widur beeindruckt, sind ihre Begeisterung und die Unaufgeregtheit, mit der sie das doch recht umfangreiche und auch finanziell nicht ganz kleine Projekt angehen. „Die zwei Tage sind wie Freizeit“, sagt Karoline Widur, die beruflich bundesweit als Bloggerin, Coach und Referentin arbeitet und dabei – vielfach über das Internet - berufliche Neuorientierungen, Persönlichkeitscoaching und Veränderungsprozesse begleitet. Für sie ist die Arbeit in der Gärtnerei ein „hochwertiges Erlebnis, eine Auszeit im normalen Alltag“ – und das verbunden mit dem Gefühl, etwas wirklich Sinnvolles zu tun.

Und so oder so ähnlich sehen es auch die anderen freiwilligen Mitarbeiter, denen die Erfahrung, selbst Hand anzulegen und dann ganz frisches Gemüse mit heimnehmen zu können, eine ganz intensive und wichtige ist. Dabei handelt es sich, wie Kristine Rühl sagt, um einen festen Kreis von etwa neun Leuten, der über die vergangenen Jahre hinweg angewachsen ist. „Langsam und gesund wachsen“: Das ist auch ihre Philosophie für das gesamte Gärtnereiprojekt. Ideen gibt es noch ganz viele: Beispielsweise soll, zumindest in kleinem Stil, auch Spargel angebaut werden.

23.5.2018 Artikel und Fotos von Hans Eder
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