Wie faszinierend und zugleich einfach diese uralte Methode der Lebensmittelveredelung ist, demonstrierte ein rund vierstündiger Kurs der Ökomodellregion Waginger See-Rupertiwinkel im Seminarraum des Marxnhofs von Michael Steinmaßl, dem „Bio-Michi“ in Watzing. Das Raum war bis auf den letzten Platz gefüllt.
Begrüßt wurden die Teilnehmenden zunächst von Marlene Berger Stöckl, Managerin der Ökomodellregion (ÖMR). Sie betonte, dass die ÖMR die Produktion von Bioprodukten fördern und das Bewusstsein für nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung stärken wolle. Gleichzeitig solle die bereits bestehende Vielfalt regionaler Produkte sichtbarer gemacht werden. „Das Bio-Gemüse von Michael Steinmaßl ist eine wahre Pracht“, lobte sie und verwies auf die bunte Auswahl an Herbst- und Wintergemüsesorten, die an diesem Abend verarbeitet werden sollten - darunter auch Raritäten wie verschiedenfarbige Möhren, Steckrüben oder bunte und geringelte Beeten.
Hausherr Michael Steinmaßl gab einen kurzen Einblick in seinen Betrieb und nannte Verkaufsstellen, darunter den Wochenmarkt in Traunstein, wo sein Gemüse erhältlich ist.
Anschließend führte Sibylle Hunger, passionierte Fermentista und Gründerin der „Gmiashunger“-Workshops, mit spürbarer Leidenschaft und großem Fachwissen in die Grundlagen und feinen Unterschiede der Gemüsefermentation ein. Gerade jetzt, wo die Beete überquellen, sei das Fermentieren „die perfekte Möglichkeit, Überschüsse zu verarbeiten – ganz ohne Energieverbrauch, ohne Konservierungsstoffe und ohne Verlust an Vitalstoffen“. Richtig gelagert, bleibe fermentiertes Gemüse monatelang knackig und aromatisch - bis zur nächsten Erntesaison.
Angelehnt an Louis Pasteurs berühmtes Zitat – „Fermentation, c’est la vie sans l’air“ („Fermentation ist Leben ohne Luft“) – erklärte Hunger die verschiedenen Formen des Prozesses: Hefen wandeln Zucker in Alkohol um, wie bei Bier oder Wein; Schimmelpilze veredeln Käse oder Salami; Pilzkulturen wachsen auf Getreide- und Hülsenfrüchten, wie bei Miso oder Tempeh. Die ursprünglichste Form sei jedoch die „wilde Fermentation“, bei der die Mikroorganismen, die ohnehin auf dem Gemüse sitzen, die Arbeit von selbst übernehmen.
„Ich fermentiere ganz natürlich, ohne Zusatzstoffe oder Starterkulturen – nur mit den Milchsäurebakterien, die das Gemüse von Natur aus bevölkern“, erklärte Hunger. So entstünden wertvolle Nährstoffe, die das Mikrobiom stärken und das Immunsystem unterstützen. Biogemüse bringe von Natur aus eine größere Vielfalt an nützlichen Mikroorganismen mit.
Ein zentrales Thema war das Salz: „Salz für Haltbarkeit, Salz für Knackigkeit und Salz für den Geschmack“, betonte sie. Wichtig sei dabei das genaue Abwiegen. Der Salzanteil betrage eineinhalb bis zwei Prozent. Anschließend zeigte sie zwei bewährte Methoden: die Trockensalz-Methode für fein geschnittenes Gemüse und die Lake-Methode für grob geschnittenes oder ganzes Gemüse. Wichtig sei, dass alles unter der Lake ruhe.
Auch Hygiene und Vorbereitung seien entscheidend: Gläser und Utensilien sollten mit heißem Wasser gespült, das Gemüse gründlich gewaschen und sauber verarbeitet werden. Unverzichtbar seien drei Dinge: Gemüse, Salz – am besten ohne Rieselhilfen oder Zusätze – und geeignete Gläser. Hunger schwört auf Weckgläser, deren Konstruktion den Gärprozess ideal unterstützt. Die Deckel eines kleineren Glases verwende sie als Fermentiergewichte.
Nach dem Befüllen beginne die eigentliche Gärung: etwa eine Woche bei Raumtemperatur, danach kühl und dunkel gelagert – idealerweise im Keller bei 16 bis 18 Grad. Nach wenigen Wochen ist das Gemüse bereit für den ersten Genuss.
Neben Klassikern wie Sauerkraut, Gurken oder Blumenkohl ermutigte Hunger die Teilnehmenden zu experimentieren – etwa verschiedene Gemüsesorten gemeinsam im Glas oder auch Cocktailtomaten, deren Fermentiersaft besonders aromatisch schmecke. Reichlich farbenfrohe saure Schmankerl hatte sie mitgebracht – zur großen Freude der Teilnehmenden, die eifrig probierten und über Geschmack und Textur diskutierten.
Geschnippelt, geknetet und geschichtet
Mit sichtbarer Begeisterung wurde anschließend geschnippelt, geknetet und geschichtet, während sich im Raum der Duft von Kohl, Knoblauch und Gewürzen ausbreitete. Hunger gab zahlreiche Tipps, wie sich fermentiertes Gemüse in der Alltagsküche vielseitig einsetzen lässt – als Snack direkt aus dem Glas, in Bowls, Burgern oder Wraps, oder als würzige Beilage zu Fleisch- und Fischgerichten.
Zum Abschluss nahm sie die Gruppe mit auf eine kleine Reise in die Welt asiatischer Fermente – von Miso über Shoyu (Sojasauce) bis Tempeh, die sie längst in ihre heimische Küche integriert hat. „Ich stelle alles auf ursprüngliche Weise her – mit Zutaten, die hier wachsen, wie z.B. Miso aus Emmer und Ackerbohnen und einer Edelschimmelkultur“, sagte sie.
Sybille Hunger aus Kolbermoor hat bereits zwei Bücher über das Fermentieren veröffentlicht: „Gemüse und Obst einfach fermentieren“ und „Koji, Miso, Shoyu, Tempeh“ (AT-Verlag). Darüber hinaus entwickelt sie ständig neue Rezepte und gibt Kurse.
Wer in Watzing erlebt hat, wie Gemüse in Glas und Salzlake zum Leben erwacht, wird die alte Kunst des Fermentierens wohl nicht so schnell vergessen.
Artikel von Anneliese Caruso, Südostbayerische Rundschau vom 20.10.2025